Die Erben des Terrors (German Edition)
auf diesem Flug. Pomanow mochte keine Kasachen, die waren u nhöflich, schlecht gelaunt, meistens hatten sie eine Alkoholfahne und gefühlt jeder Dritte hieß Juri oder Dmitri.
„Der nächste“, sagte er laut und in dem griesgrämigen Tonfall, den man von e inem Grenzbeamten erwartet.
Der nächste, stellte Pomanow fest, war ein sehr gut angezogener Mann, sich tlich Russe, mit einer jungen Frau, von der er seine Augen nicht nehmen konnte. Trotz des weiten Kleides und des Kopftuchs konnte man ihre Figur sehen, und der als Schal über ihrer Brust hängende Teil des Kopftuchs schwebte einige Zentimeter vor ihrem Bauch. So sehr sie sich Mühe gab, ihre perfekte Figur zu verbergen, es gelang nicht. Und wenn – alleine der freudige Blick in ihren Augen, tiefgrün wie die Wälder auf den Bildern der ausländischen Reisemagazine an den Kiosken hätte ihn nicht losgelassen.
Ihr Begleiter legte wortlos zwei Pässe auf den Tresen vor ihm, die er nur kurz ansah, um das wunderschöne Wesen, ihr Name war wohl Şemşat, weiter ansehen zu können, bevor der nächste betrunkene Kasache ihn wieder in die Realität zurückbringen würde. Er kontrollierte kurz die Ausreisegenehmigungen, nahm wieder seinen schweren, abgenutzten Holzstempel und stempelte gleich beide Pässe.
„Gute Reise“, wünschte er, worauf die Frau mit den Regenwaldaugen ihn b ezaubernd anlächelte und sich bedankte.
Hätte er weniger auf Şemşats Augen und ihr etwas zu enges Kleid geachtet, wäre ihm aufgefallen, dass die Ausreisegenehmigungen beide die gleiche Registriernummer hatten.
1 3. Juni 1998
43° 15° 14.85” Nord, 76° 56’ 58.09” Ost
Grand Tien Shan Hotel, Almaty, Kasachstan
Die Duft der Schaumblasen kitzelte Şemşats Kehle, und der seifig-rosige Geruch des Badewassers war ungewohnt. Aber Baden, beschloss Şemşat, Baden in warmem Wasser, während es draußen so kalt ist, in einem warmen Raum, das ist großartig.
Sie genoss das warme Wasser noch eine Weile, bevor sie aufstand und sich nach einem Trockentuch umsah. An der Wand hingen zwei teppichgroße T ücher, eines davon, beschloss sie, wird wohl für den Zweck gedacht sein, und wickelte sich in das weiche Frottee. Das Bad war fast größer als das große Speisezimmer ihres Elternhauses, und das Zimmer, Timur hatte es Suite genannt, war noch sehr viel größer. Es war eine sehr gute Entscheidung, von zuhause wegzugehen, merkte sie, während sie feststellte, dass sie keine Haarbürste besaß.
Nach zwei nackten Nächten mit Timur machte es keinen Sinn mehr, schüc htern zu sein, beschloss sie, und verließ das Badezimmer.
„Timur, ich habe keine Haarbürste“, sagte sie.
„Das ist kein Problem, wir müssen sowieso einkaufen gehen“, entgegnete er.
„Wieso?“
„Du brauchst was Neues zum Anziehen.“
„Oh ja. Hier ist es viel zu kalt für die Jahreszeit!“
„In Moskau ist es noch kälter.“
„Noch kälter? Dann brauche ich einen Mantel, aus Lammfell.“
„Asaal, es ist Sommer. Du brauchst einen Sommermantel, keinen dicken Mantel. Und für den Winter brauchst du einen aus Pelz.“
„Pelz? Wie in der Geschichte von ..., den Geschichten von Tolstoi?“
Murdalov lächelte. „Ja, Pelz wie aus den Geschichten von Tolstoi.“
Şemşat war sich kurz unsicher, ob sie darüber unglücklich sein sollte, dass es in Moskau so kalt wäre oder glücklich darüber, dass sie einen Mantel bekäme wie Natascha Rostowa aus Krieg und Frieden , der Name war ihr wieder eingefallen. „Wirklich?“
„Ja, Asaal, aber wir brauchen auch noch normale Kleidung.“
„Was ist denn an meinen Kleidern falsch?“, fragte Şemşat und dachte darüber nach, dass die drei Kleider, die sie besaß, ihr wirklich gut gefielen. Vor allem das schön verzierte grüne, das sie bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Timur getragen hatte.
„Deine Kleider sind wunderschön, aber wir sind jetzt reiche Muskoviten, ric htig? Und damit wir in Moskau nicht auffallen, müssen wir uns auch anziehen wie reiche Muskoviten. Und damit das von Anfang an niemandem auffällt, gehen wir jetzt Kleidung kaufen.“
Dass man in den Städten Kleidung kauft und nicht näht, wusste Şemşat von den Erzählungen der Nomaden und aus den Büchern. Aber sie hatte nie ein Kleid getragen, das nicht ihre Mutter für sie genäht hatte, bevor sie dreizehn wurde. Ab da hatte sie die Kleider selbst genäht.
Murdalov fiel der fragende Blick auf . Er schloss schnell, dass Şemşat wohl mit dem Konzept von „Kleidung fertig kaufen“
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