Die Erben des Terrors (German Edition)
schwer klare Entscheidungsregeln vermitteln. Deswegen kommt es öfter vor, dass der Computer sich nicht entscheiden kann oder irritiert ist, und immer dann bekommt Jane eine Meldung. Das passiert ein paar Tausend Mal am Tag, weswegen Jane ein Dutzend Kollegen hat, die das gleiche machten wie sie. Eine der Meldungen des heutigen Tages auf Janes Bildschirm las sich so:
Voice of Russia Public Radio
February 9: Sydney 18 degrees, Lukojanow 10.4 degrees.
February 10: Sydney 18 degrees, Nischnjaja Tura 10.4 degrees.
Marked medium priority by Analyst 378
February 10: Sydney 18 degrees, Nischnjaja Tura 10.4 degrees.
February 11: Sydney 18 degrees, Werchneuralsk 10.4 degrees.
Marked low priority by Analyst 218
February 9: Sydney 18 degrees, Lukojanow 10.4 degrees.
February 11: Sydney 18 degrees, Werchneuralsk 10.4 degrees.
Marked low priority by Analyst 620
Jane überlegte kurz, ob sie die Meldung an einen Analysten des Russland-Desks weiter geben sollte, da sie von den russischen Städten mit den unaussprechlichen Ortsnamen noch nie etwas gehört hatte und die dafür zuständigen Spezialisten es weitgehend nicht wichtig fanden, schließlich hatten zwei der drei „low priority“ vergeben. Low priority heißt theoretisch, dass es wichtigeres gibt, praktisch aber, dass sich niemand mehr darum kümmern wird. Mit medium priority sieht das etwas anders, aber nicht viel besser aus, aber mehr schien die Meldung nicht wert – wen interessiert die Temperatur in russischen Kleinstädten, die kein Mensch kennt, auch wenn sie gleich ist? Vielleicht hat Voice of Russia ja gerade einen Running Gag mit Städten, in denen es 10.4 Grad hat? Also, medium priority und einen Kaffee holen, es ist ja doch sehr früh am Morgen.
Zur gleichen Zeit
38° 57’ 05.06” Nord, 77° 08’ 42.86” West
Am Nebentisch
Senior Intelligence Analyst Marc Perizzolo war etwas älter als die meisten se iner Kollegen, und wie fast alle hatte auch er einen Abschluss in Computerlinguistik. Und er liebte seinen Science-Fiction-Filmarbeitsplatz. Er blickte auf einen seiner vier Bildschirme, wo ihm eine Meldung zur Kontrolle angezeigt wurde:
Voice of Russia Public Radio
February 10: Nischnjaja Tura 10.4 degrees. Apologize mistake yesterday, Lukojanow not 10.4 degrees, but minus 10.4 degrees
Marked low priority by Analyst 568
February 11: Werchneuralsk 10.4 degrees Apologize mistake yesterday, Nischnjaja Tura not 10.4 degrees, but minus 10.4 degrees
Marked medium priority by Analyst 314
So, dachte Perizzolo, wird das nichts. Wenn die Programmierer es nicht mal hi nbekommen, Russisch ordentlich ins Englische zu übersetzen oder zwei bis auf die Ortsnamen völlig identische Meldungen wenigstens dem gleichen Analysten zu geben, kann man sich das hier auch sparen. Nachdem Perizzolo aber lange genug hier war, wusste er, dass es keinen Sinn machte, das System zu kritisieren. Es war aber auch nicht seine Aufgabe, Fehler zu machen, also klickte er auf high priority . Soll sich doch jemand drum kümmern, der weiß, wo die Städte liegen und wie warm es da sein sollte. Oder warum russische Meteorologen offenbar völlig unfähig sind.
Er stand auf und ging in die Kaffeeküche. Schließlich war Jane gerade aufgestanden und in die Richtung gegangen, und im Gegensatz zu den meisten amerikanischen Arbeitgebern hatte die Agency nichts gegen Beziehungen zwischen Kollegen einzuwenden. Und Jane glücklicherweise auch nicht.
Etwas später
38° 57’ 05.06” Nord, 77° 08’ 42.87” West
Ein Stockwerk höher
Elena Campbell hatte kognitive Linguistik studiert, mit Fokus auf slawische Sprachen. Übersetzerin für die Vereinten Nationen hatte sie werden wollen, sie sprach von klein auf fließend Russisch. Ihre Großmutter hatte es ihr beigebracht. Aber bei einer Jobmesse an ihrer Alma Mater, der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania, keine fünf Autostunden vom CIA-Hauptquartier entfernt, hatte sie ein sehr attraktiver, durchtrainierter Mann Anfang vierzig angesprochen. Der Name dieses Mannes war Sutter, Michael Sutter.
Das aber wusste Elena nicht. Er sagte eigentlich kaum etwas, sah aber so gut aus, trotz oder vielleicht aufgrund seines nicht sitzen wollenden Anzugs. Die breiten Schultern, der stolze Brustkorb; nein, ein solcher Körper
Weitere Kostenlose Bücher