Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
unterhalten.«
Als sie den ernsten Ton ihrer Mutter hörte, spannten sich Rachels Muskeln unwillkürlich an. »Ja?«
Ihre Mutter umfasste Rachels Hände mit ihren vom Abspülen noch warmen Fingern, blickte ihr tief in die Augen und sagte: »Rachel, ich möchte dich um etwas bitten, das nicht nur dein Herz, sondern auch meines brechen wird.«
Rachel versuchte, ihr ihre Hände zu entziehen, doch ihre Mutter ließ sie nicht los. »Du hast uns doch lieb, oder?«, fragte Alice. »Besonders deinen Daddy?«
»Euch alle«, antwortete Rachel.
»Egal, wie deine Antwort ausfällt: Dieses Gespräch bleibt unser Geheimnis. Dein Vater darf nie erfahren, worüber wir heute Abend geredet haben. Versprichst du mir das?«
»Ja, Mama«, sagte Rachel leise.
Ihre Mutter zögerte, und Rachel erkannte jenen Blick, der immer von einem Kampf mit ihrem Gewissen zeugte. »Liebes«, begann Alice und ließ die Hand über Rachels Arm gleiten, »dir ist sicher bewusst, dass Tante Mary nach dem Verlust ihres eigenen Sohnes dich als Erbin auserkoren hat.«
»Als Erbin …?«
»Ja, die ihr Werk fortführt, wenn sie tot ist, und die Toliver-Tradition aufrechterhält.« Alice musterte sie, als wollte sie feststellen, ob Rachel sich absichtlich dumm stellte.
Rachel blinzelte. Sie, Tante Marys Erbin? Sie hatte bereits beschlossen, an der Texas A & M University zu studieren und einen Abschluss in Agrarwissenschaften zu machen, weil sie hoffte, dann einen Job bei Tante Mary zu bekommen, aber … ihren Platz nach ihrem Tod einnehmen? Somerset erben ?
Alice beugte sich weiter zu Rachel hinüber. »Das sieht ein Blinder mit Krückstock, dass sie dich als ihre Nachfolgerin
betrachtet, Rachel. Warum sonst, glaubst du, würde sie immer mehr Grund kaufen?«
Rachel war um die Antwort nicht verlegen. »Weil der Boden von Somerset ausgelaugt ist. Nach dieser Ernte wird sie ihn bis zum nächsten Jahr ruhen lassen und anschließend mit Mais und Sojabohnen bepflanzen.« Zum ersten Mal in der Geschichte von Somerset gäbe es zusätzlich zu der stetig rückläufigen Baumwollproduktion andere Kulturpflanzen. Tante Mary wollte diversifizieren. Den Impuls dazu verdankte sie Rachel, die ihr die Vorgehensweise bei ihrem Gemüsegarten beschrieben hatte, worauf Mary dem Verwalter ihrer Plantage sagte: »Meine Großnichte hat mich dazu gebracht, den Charakter von Somerset zu verändern, was bisher noch niemandem gelungen ist. Die Baumwolle hat den Boden ausgelaugt. Es wird Zeit, dass ich mir das eingestehe.«
Da Tante Marys Herz jedoch an der Baumwolle hing, erwarb sie große Flächen Farmland in der Nähe von Lubbock und Phoenix, Arizona, die sie damit bepflanzen wollte, und nannte ihr Unternehmen nun Toliver Farms. Diese Ankäufe erzürnten Alice, die behauptete, Tante Mary plündere absichtlich die Kasse, damit am Ende nichts bleibe.
Mit einem strengen Blick widersprach Alice ihrer Tochter: »Das ist es nicht, Rachel. Ohne dich hätte sie sich damit begnügt, ihrer Plantage so viel wie möglich abzuringen, egal, ob der Boden ausgelaugt ist oder nicht. Doch jetzt hat sie einen Grund, Boden und Gerätschaften zu erwerben, was das Erbe deines Vaters nach ihrem Tod mindert. Sie wird wie so viele Farmer hier reich an Land, aber arm an Geld sein. Kannst du mir folgen?«
Rachel nickte. Endlich begriff sie, worum sich die Auseinandersetzung ihrer Eltern all die Jahre gedreht hatte. Ihre Mutter erwartete, dass Tante Mary die Plantage ihrem Vater hinterließ, der sie verkaufen würde. Rachel, die ein flaues Gefühl
im Magen bekam, fragte vorsichtig: »Warum wäre es so schlimm, wenn sie alles mir vermacht? Ich würde sämtliche Erträge mit dir, Daddy und Jimmy teilen …«
»Dein Daddy würde es nie zulassen, dass seine Tochter die Familie ernährt«, zischte Alice.
»Warum nicht? Andere Kinder helfen ihren Eltern doch auch.«
»Weil dein Vater glaubt, kein Recht auf den Ertrag des Toliver-Bodens zu haben, deshalb. Er würde niemals auch nur einen Cent annehmen.«
»Wieso?«, fragte Rachel verwundert.
Alice ließ Rachels Hände los, lehnte sich zurück und begann, mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln. Erst nach einer ganzen Weile sagte sie: »Dein Vater ist mit siebzehn von Tante Mary und Onkel Ollie weggelaufen.«
Rachel meinte, ihren Ohren nicht zu trauen.
»Du glaubst mir nicht, stimmt’s? Doch, das hat er getan, und zwar aus folgendem Grund: Deine Großtante wollte einen Baumwollpflanzer aus ihm machen, einen Toliver. Aber dein Daddy war nicht
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