Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
ihres Mannes aus dem Bestattungsinstitut hatte bringen lassen. Als Mary auf der Treppe Sassie mit einem ganzen Arm voll der noch frischen Blumen begegnet war, hatte sie diese mit einem unguten Gefühl gefragt: »Was wird das denn?«
»Wonach sieht’s aus?«, hatte die Haushälterin mit düsterer Stimme zurückgefragt. »Ich hab das Gefühl, dass hier nie wieder was so sein wird wie früher.«
Das gleiche Gefühl beschlich Mary, als sie ihre Mutter auf der Chaiselongue liegen sah, die mit dem bleichen Gesicht und dem starren Körper schrecklich distanziert auf sie wirkte. Jegliche Wärme und Vitalität schienen sie verlassen zu haben. Der lavendelfarbene Morgenmantel aus Satin umhüllte eine Fremde.
»Du willst wissen, wie er es anders hätte machen sollen?«, wiederholte Darla Marys Frage. »Das sage ich dir gern, meine liebe Tochter. Er hätte mich mehr lieben können als Somerset.«
»Aber Mama, du hättest es doch verkauft!«
»Und wenn er dazu nicht in der Lage war«, fuhr Darla mit geschlossenen Augen fort, ohne auf Mary zu achten, »hätte er seinen Besitz wenigstens gleichmäßig zwischen unserem Sohn und unserer Tochter aufteilen können. Der Streifen Land, den Miles geerbt hat, ist so gut wie wertlos, weil er jedes Frühjahr überflutet wird und dort nichts Rechtes gedeiht.«
»Trotzdem gehört der Grund zu Somerset, Mama. Außerdem weißt du, dass Miles sich nie etwas aus der Plantage gemacht hat.«
»Zumindest«, sprach Darla genauso tonlos wie zuvor weiter, »hätte er sich in mich hineinversetzen und bedenken können, welchen Eindruck unsere Freunde von uns haben, wenn er seine Frau von seiner Tochter abhängig macht.«
»Mama …«
Nach wie vor mit geschlossenen Augen sagte Darla: »Die Liebe deines Vaters war mein größter Schatz, Mary. Ich habe es immer als Ehre erachtet, von ihm aus all den Frauen gewählt worden zu sein, die er hätte haben können, manche hübscher als ich …«
»Niemand ist hübscher als du, Mama«, flüsterte Mary mit vor Kummer erstickter Stimme.
»Seine Liebe hat mir Leben eingehaucht, mir Stärke und gesellschaftliche Bedeutung verliehen. Jetzt erscheint mir alles wie eine einzige Farce, ein Dasein, das ich nur so lange genießen durfte, wie er da war. Durch seinen Tod hat er mir alles genommen, unsere ganze Beziehung.«
»Mama …« Mary wusste nicht, was sie sagen sollte, denn in ihrem Innersten ahnte die Sechzehnjährige, dass ihre Mutter recht hatte. Am Ende war die Erhaltung der Plantage ihrem Vater wichtiger gewesen als Stolz, Gefühle und Wohlergehen seiner Frau. Faktisch hatte er ihr keinen Penny hinterlassen. Sie war abhängig von ihren Kindern und musste sich den Spott der guten Gesellschaft von Howbutker gefallen lassen.
Mary, die trotz ihres zarten Alters für gewöhnlich wenig Verständnis für Schwäche zeigte, konnte ihrer Mutter kaum einen Vorwurf dafür machen, dass sie am Boden zerstört war. Mit Tränen in den Augen kniete Mary neben der Chaiselongue nieder. »Papa wollte dir nicht wehtun, das weiß ich.«
Doch als sie weinend den Kopf an die Brust ihrer Mutter legte, war sie sich auch ihrer Freude darüber bewusst, dass Somerset an sie gefallen war, und sie schwor sich, die Plantage, egal, welchen Kummer das mit sich brachte, niemals aufzugeben. Irgendwie würde sie schon einen Ausgleich für ihre Mutter finden … Sie würde hart arbeiten, damit Somerset so viel abwarf, dass sie weiterhin ihre geliebten Seiden- und Satinstoffe tragen konnte. Und Somerset würde so groß und der Name der Tolivers so bedeutend werden, dass niemand eine abschätzige Bemerkung über ihre Mutter wagen durfte. Nach einer Weile würden alle Vernon Tolivers Verrat vergessen und erkennen, wie recht er gehabt hatte, seine Angelegenheiten so zu regeln. Wenn ihnen erst klar wäre, wie sehr ihre Kinder und Enkel Darla Toliver schätzten, konnte sie ihren Schmerz vergessen.
»Mama?«
»Ja, ich bin hier, Mary.«
Doch das stimmte nicht, das wusste Mary. Darla würde nie mehr die Mutter sein, die sie und Miles bisher gekannt hatten. Mary hätte alles dafür gegeben, sie wieder so wie früher zu sehen, ganz normal und vertraut, schön und glücklich. Außer Somerset , korrigierte sich Mary in Gedanken. Erschrocken registrierte sie, dass die Liebe zu ihrer Mutter tatsächlich Grenzen hatte.
Genau wie bei ihrem Vater.
Ein Gefühl des Verlusts durchzuckte sie, ähnlich wie in dem Moment, als die Hand ihres Vaters ihr auf seinem
Sterbebett entglitten war. »Mama! Mama!
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