Die Erben von Somerset: Roman (German Edition)
Landesgrenze überschritten hat, und setzt sich in den nächsten Zug zurück. Ihr zwei konntet euch doch noch nie lange böse sein. Und ich finde es vollkommen natürlich, dass du zu mir kommst, wenn er sich weigert. Warum auch nicht? Ich rede mit ihm, sobald er wieder da ist, und mache ihm klar, wie dumm er sich aufführt.« Ollie strahlte sie an. »Bleib da sitzen, während ich Raymond anrufe.«
Als er nach dem Telefonhörer griff, legte Mary die Finger auf sein Handgelenk. »Obwohl ich mich nicht in der Position befinde, Bedingungen stellen zu können, muss ich dir ein Versprechen abnehmen, bevor wir die Sache mit dem Vertrag angehen.«
»Selbstverständlich. Ich würde so ziemlich alles versprechen, was du von mir verlangst.«
»Falls du jemals in finanzielle Schwierigkeiten geraten solltest und ich in der Lage bin, dir zu helfen, musst du mir
erlauben, dir unter die Arme zu greifen. Versprich mir das, Ollie.«
Ollie tätschelte ihre Hand mit einem nachsichtigen Lächeln. »Gut, wenn du darauf bestehst.« Sein Tonfall verriet, dass er nicht an das Eintreten eines solchen Falles glaubte.
Mary holte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und wischte sich die Tränen ab. In letzter Zeit hatte sie sehr nahe am Wasser gebaut, stellte sie fest. »Ollie, du bist ein wunderbarer Freund, ein richtiger Schatz. Aber bitte vergiss nicht, dass ich dich ausschließlich um deine Unterschrift bitte. Dein Name verschwindet nächstes Jahr nach der Ernte wieder von dem Vertrag.«
Er nahm den Telefonhörer von der Gabel. »Dann lass uns auf gutes Wetter hoffen.«
Als die Angelegenheit mit der Bank geklärt war, begleitete Ollie sie zur Treppe. »Hat Percy dir wirklich nicht verraten, wann er zurückkommt?«, fragte sie.
Er zuckte mit den Achseln, wie es schon seine französischen Vorfahren getan hatten. »Nein, Mary Lamb, aber sobald er merkt, wie sehr du ihm fehlst, kehrt er sofort wieder nach Hause zurück.«
Doch Percy kam nicht. In der folgenden Woche, in der Mary die Aufräumungsarbeiten auf den Feldern überwachte, hielt sie permanent Ausschau nach seinem roten Wagen, und jeden Abend erwartete sie eine Nachricht von ihm auf dem Tischchen im Flur. Wenn sie mit Shawnee die Auffahrt erreichte, suchte sie die Straße mit Blicken nach dem Pierce-Arrow ab, und einmal lenkte sie den Einspänner sogar zu der Hütte am See. Fenster und Tür waren verschlossen; alles wirkte verlassen, als wären sie nie dort gewesen. Die Niedergeschlagenheit darüber raubte ihr sämtliche Energie und Lebensfreude.
Auf den August folgte der September, und ihr Gefühl des
Verlusts wurde immer intensiver. Nun war nicht einmal mehr Ollie da, der sie hätte trösten können. Er besuchte die Modenschauen in New York und kam erst im Oktober wieder. Anschließend stand eine Einkaufsreise nach Europa, unter anderem nach Paris, auf dem Programm, wo er Miles treffen und die französischen Kriegskameraden wiedersehen wollte. Was hieß, dass er fast den gesamten Rest des Jahres weg sein würde.
Zu allem Überfluss kamen dann noch Übelkeitsanfälle dazu, meist morgens, gleich nach dem Aufstehen. Sassie bezeichnete sie als »Wasserfieber«, eine merkwürdige Sommerkrankheit, die durch den Genuss von Fluss- oder Seewasser verursacht wurde. Mary, die ihre Diagnose nicht anzweifelte, mutmaßte, dass sie sie sich beim Schwimmen im See mit Percy zugezogen hatte. Als sie eines Morgens wieder einmal würgte, bis nur noch Galle kam, überlegte sie, ob sie nicht doch lieber Doc Tanner konsultieren sollte. Sie war sehr beschäftigt, aber einmal hatte ihre Periode ausgesetzt …
Sie hob erschrocken den Kopf, um sich im Spiegel über der Waschschüssel zu betrachten. Voller Angst betastete sie ihre Brüste. Sie fühlten sich empfindlich und geschwollen an. O Gott!
Mary hastete hinunter in die Bibliothek, wo sie einen schweren Band aus dem Regal hievte, ein Hausbuch, das Symptome und Behandlung von Krankheiten beschrieb. Es stammte aus dem Jahr 1850, doch manche Fakten änderten sich nie. Mit wirbelnden Gedanken las Mary die Symptome, die alle auf sie zutrafen: Aussetzen der Periode, angeschwollene Brüste, dunkle Brustwarzen, Harndrang, Übelkeit, Müdigkeit, Appetitlosigkeit …
Gütiger Himmel, sie war schwanger!
Ihr wurde klar, dass sie keinesfalls zu Doc Tanner gehen konnte. Sie würde einen Arzt weit weg aufsuchen und telefonisch
einen Termin vereinbaren müssen. Dieser Anruf würde die Buschtrommeln in Gang setzen, selbst wenn das Fräulein vom Amt nicht
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