Die Erben
idiotisch stark.
Mein Blick blieb an Sarah hängen, die noch immer auf den Durchgang starrte, durch den Thor, Lyn und die anderen vor wenigen Augenblicken verschwunden waren.
Sie wirkte nachdenklich, doch im Gegensatz zu Sisy und mir schien sie sich weniger um Lyn Sorgen zu machen, als allgemein besorgt zu sein.
„Sie hatte Nasenbluten, richtig?“, wandte sie sich an mich und ich nickte.
„Ihr Bruder hat sie versehentlich zur Seite geschubst, als er zwischen mich und diesen Trottel wollte und sie ist deswegen gegen die Wand geknallt“, spulte ich die Ereignisse herunter. „Sie hat sich den Kopf gestoßen, davon muss sie Nasenbluten bekommen haben.“
Ich zweifelte selbst an meiner Variante. Egal wie oft ich die Ereignisse ablaufen ließ, ich war überzeugt, dass Lyn nicht hart genug gegen diese Wand geflogen war.
„Wahrscheinlich…“, flüsterte Sarah abwesend und ebenso ungläubig, dann schüttelte sie kurz den Kopf und kramte ihr Handy aus der Tasche.
„Sarah“, unterbrach Sisy ihr Vorhaben. „Können wir vielleicht auch gehen? Mein Kleid ist vollkommen durchnässt, ich würde mich wirklich gerne umziehen.“
Sarah antwortete nur mit einem Murmeln und kletterte von der Bank, mit einer Hand noch immer am Handy.
„Wem schreibst du denn?“, wollte ich von ihr wissen, doch sie beachtete mich kaum. Ihr Blick war starr auf das Display gerichtet und sie hakte sich bei Sisy unter, um von ihr geführt zum Gang zu gehen.
Ich blieb noch eine halbe Stunde mit Kyle im
Jackie’s
, bis ich endlich einsah, dass meine Stimmung sich nicht mehr heben würde.
Ständig musste ich an Lyns Zusammenbruch zu denken.
Es machte mich wild, dass ihre Leute offensichtlich dachten, wir hätten etwas damit zu tun gehabt und trotzdem fühlte ich mich irgendwie verantwortlich.
Wobei es das nicht wirklich traf.
Lyn war in meiner Gegenwart umgekippt und auch wenn ich sie kaum kannte, wollte ich wissen, wie es ihr ging, einfach weil ich Zeuge gewesen war. Ebenso wenig hätte ich von einem Autounfall wegfahren können, ohne mich zu versichern, dass sich keiner ernsthaft verletzt hatte, auch wenn ich nicht beteiligt gewesen wäre.
Ich klopfte auf den Tisch und verabschiedete mich mit der Begründung, müde zu sein.
Eilig joggte ich durch den Tunnel zu meiner Ninja, als mein Handy in der Jeanstasche zu vibrieren begann.
Es war eine Nachricht von Sisy.
Ich wollte nach Lyn sehen, aber Gary lässt mich nicht mehr weg, weil es schon so spät ist. Siehst du noch nach ihr? Bitte. Sie wohnt in der Driftwood Rd. Nummer 8 in Cape Gale. Ihr Zimmer ist über der Garage. Sag Bescheid, wenn du etwas weißt. -Sisy
Sie hätte mich vermutlich nicht einmal bitten müssen.
Seit Lyn von ihrem Bruder weggetragen worden war, hatte ich mit dem Gedanken gespielt, nach ihr zu schauen. Und dank Sisy wusste ich jetzt auch wo Lyn wohnte.
Allerdings wollte ich gar nicht erst wissen, woher Sisy wusste, wo genau sich Lyns Zimmer befand. Sie war in solchen Dingen einfach ein wandelndes Lexikon und außerdem ein großer Fan der Technologie. Ihr heiß geliebtes Blackberry spuckte ihr auf jede Frage zuverlässig eine Antwort aus und wahrscheinlich hätte sie mir dank Google Street View sogar sagen können, wie Lyns Gardinen aussahen.
Auch wenn ich bezweifelte, dass sie welche besaß.
Ich startete den Motor meiner Maschine und viel zu schnell jagte ich durch den Nebel, der sich aufgezogen hatte. Als die Sicht immer schlechter wurde, musste ich mich zwingen, die Geschwindigkeit zu drosseln.
Erst als ich Cape Gale erreicht hatte wurde ich langsamer und hielt in der Ortsmitte an, um mein Handy aus der Tasche zu ziehen und nach dem Weg zu sehen. Ich war in meinem Leben vielleicht drei Mal in Cape Gale gewesen und hatte keine Ahnung, wo sich die Driftwood Road befinden sollte.
Umständlich zerrte ich meinen Handschuh von der Hand und begann ungeschickt auf dem Tastenfeld herum zu tippen. Irgendwann hatte ich die Karte von Cape Gale auf dem Display und das glücklicherweise bevor mir die Hand vollends abgefallen war.
Es war schweinekalt und Cape Gale hatte seinen Ruf wirklich zu Recht.
Der Wind wehte einen fast von den Füßen, wenn man nur eine Häuserreihe vom Atlantik entfernt stand.
„Okay, rechts, dann wieder links“, murmelte ich und packte mein Handy wieder in die Tasche, um weiter zu fahren.
Sehr langsam und so leise ich konnte fuhr ich in die Driftwood Road, murmelnd die Hausnummern hochzählend, bis ich vor dem Haus von Lyns Familie
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