Die Erbin
leid, Jake, aber im Gericht habe ich nicht gleich geschaltet«, sagte Willie. »Sonst hätte ich was gesagt.«
»Ist schon in Ordnung. Damit werde ich fertig.«
»Was halten Sie von den Geschworenen, von Doley einmal abgesehen?«
Jake war klar, dass er mit einem Journalisten sprach, und hielt sich daher bedeckt. »Eine gute Mischung«, sagte er. »Ich muss auflegen.«
»Der Bursche hat mir die ganze Zeit Sorgen gemacht«, behauptete Harry Rex. »Irgendwas kam mir komisch vor.«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass du was gesagt hättest«, konterte Jake. »Im Nachhinein ist man immer schlauer.«
»Warum so gereizt?«
»Er schien unbedingt Geschworener werden zu wollen«, sagte Portia. »Ich habe ihm eine Acht gegeben.«
»Uns bleibt nichts anderes übrig, wir müssen mit ihm leben«, stellte Jake fest. »Er hat nichts Falsches gesagt.«
»Vielleicht hast du nicht die richtigen Fragen gestellt«, meinte Harry Rex und trank noch einen Schluck Bud Light.
»Herzlichen Dank, Harry Rex. Nur zur Info: Bei der Auswahl der Geschworenen dürfen Prozessanwälte normalerweise nicht fragen, ob die Kandidaten zufällig entfernte Cousins in Memphis haben, deren Töchter von schwarzen Gangstern vergewaltigt worden sind, und das hat einen Grund, nämlich den, dass die Anwälte im Allgemeinen gar nichts von solch abscheulichen Verbrechen wissen.«
»Ich gehe nach Hause.« Noch ein Schluck.
»Das machen wir am besten alle«, sagte Portia. »Wir kommen nicht richtig weiter.«
Es war schon fast halb elf, als sie das Licht ausschalteten. Jake drehte eine Runde um den Clanton Square, um einen klaren Kopf zu bekommen. In der Kanzlei Sullivan brannte Licht. Wade Lanier und sein Team waren noch bei der Arbeit.
41
Als er Carl Lee Hailey verteidigt hatte, hatte Jakes Eröffnungs plädoyer vor den Geschworenen nur vierzehn Minuten gedauert. Rufus Buckley hatte zum Auftakt einen eineinhalb stündigen Marathon hingelegt, bei dem die Geschworenen weggedämmert waren, danach waren Jakes knappe Ausführungen besonders gut angekommen. Die Geschworenen hatten aufmerksam gelauscht und jedes Wort in sich aufgenommen.
»Die Geschworenen können nicht weg«, sagte Lucien häufig. »Da fasst man sich besser kurz.«
In der Sache der letztwilligen Verfügung von Henry Seth Hubbard wollte sich Jake auf zehn Minuten beschränken. Er trat ans Rednerpult und lächelte in die frischen, erwartungsvollen Gesichter, die ihm entgegensahen.
»Sehr geehrte Geschworene«, begann er, »Ihre Aufgabe ist es nicht, das Geld von Seth Hubbard zu verteilen. Es ist viel Geld, und Seth Hubbard hat es ausschließlich selbst verdient. Nicht Sie, nicht ich, nicht irgendeiner der Anwälte in diesem Saal. Er ging Risiken ein, verschuldete sich gelegentlich bis über beide Ohren, nahm Hypotheken auf sein eigenes Haus und Grundstück auf, tätigte Geschäfte, die auf dem Papier gar nicht gut aussahen, lieh sich noch mehr, spielte mit unglaublich hohem Einsatz, und am Ende, als Seth Hubbard erfuhr, dass er Lungenkrebs im Endstadium hatte, verkaufte er alles. Er löste seine Chips ein, gab den Banken, was ihnen zustand, und zählte sein Geld. Er hatte gewonnen. Er hatte recht gehabt und alle ande ren unrecht. Man kann gar nicht anders, man muss diesen Menschen bewundern. Ich bin ihm nie begegnet, aber ich hätte ihn gern kennengelernt.
Um wie viel Geld es geht? Sie werden von Mr. Quince Lundy, dem Herrn da drüben, den das Gericht zum Verwalter von Seth Hubbards Nachlass ernannt hat, hören, dass dieser Nachlass einen Wert von rund vierundzwanzig Millionen Dollar hat.«
Jake ging langsam auf und ab, und als er den Betrag nannte, blieb er stehen und blickte in einige der Gesichter. Fast alle Geschworenen lächelten. Bravo, Seth. Gut gemacht. Einige wirk ten sichtlich schockiert. Tracy McMillen, Geschworene Nummer zwei, sah Jake aus weit aufgerissenen Augen an. Aber der Augenblick war schnell vorüber. Niemand in Ford County konnte sich unter einer solchen Zahl etwas vorstellen.
»Wenn Sie glauben, dass ein Mann, der es schafft, in zehn Jahren ein Vermögen von vierundzwanzig Millionen zu verdienen, weiß, was er mit seinem Geld tut, dann kann ich Ihnen nur zustimmen. Seth wusste genau, was er tat. Am Tag, bevor er sich erhängte, ging er in sein Büro, schloss die Tür ab, setzte sich an seinen Schreibtisch und verfasste ein neues Testament. Ein handschriftliches Testament, ein in jeder Hinsicht rechtskräftiges, ordnungsgemäßes und leserliches Dokument, das leicht
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