Die Erbin der Nacht: Roman (German Edition)
sind diese Eindringlinge unversehrt hindurchgekommen. Es gab keinen Alarm; erst als alle im Quartier des Erben und viele im Tempelbezirk bereits tot waren. Doch wo waren – oder sind – diese Eindringlinge? Wie konnte das überhaupt geschehen? Und wer hat schließlich den Alarm ausgelöst? «
» Das sind alles gute Fragen « , sagte Asantir, » aber wir, so scheint es, haben zu wenige Antworten. «
» Ich kann deine Fragen ebenfalls nicht beantworten « , warf Haimyr träge ein. » Doch ich kann dir sagen, dass Malian sich nicht in der Hohen Halle der Alten Burg oder in der Spiegelhalle darüber aufhält. In letzter Zeit hat sie sich dort am liebsten versteckt, doch es ist keine Spur von ihr zu sehen. «
Die Augenbrauen des Grafen zogen sich, während Haimyr sprach, zusammen. » In letzter Zeit? « , fragte er unheilverheißend. » Was meinst du mit ›in letzter Zeit‹? « Sein scharfer Blick wanderte von einem zum anderen im Raum. » Soll das heißen, dass meine Tochter sich in die Alte Burg begeben hat, was verboten ist, und dass einige oder alle von euch das wussten und nichts dagegen unternommen haben? «
Nur Haimyr und der Hauptmann der Ehrengarde schienen von seinem Zorn unbeeindruckt. Der Barde konzentrierte sich darauf, Staub von seinem goldenen Ärmel zu fegen. Asantir hielt wieder dem Blick des Grafen stand. Ihre behandschuhte Hand lag regungslos auf der Schnalle ihres Schwertgürtels. » Ich denke, wir alle, mich eingeschlossen, wussten davon « , antwortete sie ernst. » Doch jedes Kind der Burg und jeder neue Rekrut muss dort mindestens einmal als Einführungsritual hingehen. Und Malian ist schließlich Eure Tochter. «
Nhairin schüttelte den Kopf, beobachtete den Grafen und erinnerte sich daran, wie sie als Kinder durch die Alte Burg gerannt waren und über die Gerüchte von Geistern gelacht hatten.
Der Graf atmete tief durch und brachte seine Gesichtszüge mit Mühe wieder unter Kontrolle. » Wie es scheint « , sagte er mit ausdrucksloser Stimme, » gibt es vieles, das ich nicht weiß, sogar in meiner eigenen Burg. « Er musterte den Barden erneut. » Also bist du allein dort hineingegangen, obwohl der Angriff gerade erst vorüber ist und die Garnison immer noch unter Waffen steht? «
Der Kammerherr schnalzte mit der Zunge. » Ein Fall von einzelgängerischem Heldentum! « , sagte er mit kaum gedämpfter Stimme.
Der Barde warf ihm einen Seitenblick zu, der kaum zu deuten war. » Zu dem Zeitpunkt schien es mir eine gute Idee zu sein « , sagte er mit einem angedeuteten Schulterzucken.
Asantir schüttelte den Kopf. » Das war sehr tapfer, aber nicht klug. Diese Eindringlinge haben niemandem Gnade erwiesen; sie hätten auch dich nicht verschont. «
Der Barde lächelte sie an. » Aber sie haben mich nicht gefunden, mein vorsichtiger Hauptmann, also ist alles in Ordnung. Und jetzt habe ich euer Suchgebiet verkleinert, wenn auch nur ein bisschen. «
» Das hast du wohl « , stimmte sie zu und wandte sich wieder dem Grafen zu. » Doch leider nur ein bisschen. Mein Lord, wir werden alles tun, was wir können, und noch mehr. Doch die Alte Burg ist ein unüberschaubarer Ort, und für eine gründliche Suche benötigen wir viele Leute, die wir nicht haben. «
Der Graf sah niedergeschlagen aus. Bis auf das Zischen des Feuers und den heulenden Wind draußen war nichts im Raum zu hören.
» Was wir brauchen « , murmelte Jiron, » ist ein Aufspürer. « Er sah von der Schriftrolle, die er ausrollte, hoch, wickelte sie dann wieder ein und merkte, dass alle ihn anstarrten. » Nun « , sagte er halb beschämt, halb trotzig, » genau das brauchen wir. Das könnt Ihr nicht bestreiten. «
» Tja, wir haben aber keinen « , sagte der Graf knapp. » Wir haben seit Generationen keine Aufspürer mehr gesehen. «
» Außerdem « , sagte Khorion, der zum ersten Mal sprach, » ist das halbe Tempelviertel nach dem, was ich höre, jetzt tot. Der Rest ist in keiner Verfassung, die alten Mächte, die sie vielleicht noch besitzen, auch anzuwenden. «
Wieder wurde es still. Alle im Raum hatten die Geschichten aus dem Tempelviertel gehört. Jetzt vermied jeder, den anderen anzuschauen. Dennoch gab es bestimmt auch einige, so wusste Nhairin, die das, was geschehen war, insgeheim gutheißen würden. Sie sah auf und schaute direkt in die Augen des Grafen.
» Nhairin? « , fragte er zum zweiten Mal an diesem Morgen.
Jetzt gab es keine weitere Verzögerung mehr. Nhairin gab Korriyas Befehl weiter und versuchte gar
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