Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
Paré-Mischung herstellen«, sagte Wenzel.
»Du kennst dich gut aus!«
»Du wirst dich nicht daran erinnern, aber manchmal in den letzten dreißig Jahren hast du ein, zwei Sätze mit mir gesprochen.«
Alexandra fühlte, wie sie rot wurde. Wenzel ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Paré hat die Mischung erfunden, um Wunden besser säubern zu können als mit kochendem Öl, wie es die meisten anderen tun.« Wenzel starrte sie mit steinernem Gesicht an, während er sich die Ärmel seiner schwarzen Kutte hochkrempelte. » Amputations wunden.«
»Die alte Barbora hat einmal das Gleiche gesagt wie du vorhin: Am Ende ist der Arzt immer allein.«
»Niemand hat versprochen, dass es leicht sein würde.«
»Stimmt. Nicht einmal du, als ich mich damals entschied, diesem Weg zu folgen.«
»Ich habe immer nur gesagt, dass ich da sein würde, um dir zu helfen, die Bürde zu tragen.«
Sie wechselten Blicke, die dreißig Jahre übersprangen, aber nicht das Kindergrab, das zwischen ihnen stand.
»Heute ist Heiliger Abend«, sagte Wenzel. »Mach Lýdie ein Geschenk, Alexandra. Schenk ihr das Leben.«
»Beeil dich«, flüsterte Alexandra in das plötzliche Läutenhinein, welches den Höhepunkt der Christvesper ankündigte, die Wandlung … das Wunder des christlichen Glaubens, das Leben über den Tod hinaus versprach. »Wir haben nur noch eine geringe Chance.«
6.
Das Aroma der dampfenden Mischung aus Eigelb, Rosenöl und Terpentin erfüllte den Raum und verdrängte den faulen Gestank, der von Lýdies geschwollenem Arm aufstieg. Wenzel lag halb auf dem Bett und drückte Lýdies reglosen Körper nieder. Der linke Arm des Mädchens war ausgestreckt und lag auf einem Brett, das an der Bettkante endete; der Ellbogen ragte über die Bettkante hinaus. Wenzel hielt den Oberarm mit einer rosig weiß geschrubbten Hand umklammert; der entzündete Unterarm ruhte in Alexandras Ellenbeuge. Sie hatte sich neben Lýdies Kopf auf den Boden gekauert, um die rechte Hand frei zu haben für den Schnitt; sie brauchte nur aufzusehen, um in Wenzels angespanntes Gesicht blicken zu können. Das Netz von Falten um seine Augen und die grauen Spuren, die seinen dichten Stoppelbart durchzogen, machten ihr klar, wie viele Jahre sie bereits verschwendet hatten. Sie zwang sich, an die Aufgabe zu denken, die vor ihr lag, und versuchte, alles andere auszublenden: das Geschrei, das vom Erdgeschoss des Hauses nach oben drang und in dem zwei Stimmen, die von Andreas und die von Agnes, lautstark hervorstachen – mittlerweile war die Christmette zu Ende und der Hausherr zurückgekehrt; das leise Schluchzen Karinas aus irgendeinem Raum, in den Melchior sie gebracht hatte; das stoßweiße Wimmern der ohnmächtigen Lýdie. Herr, gib, dass sie nicht erwacht , dachte sie und wusste, dass die Bitte vergeblich sein würde. Barbora hatte ihr gesagt, dass es Operationen gab, aus denen ein Patient selbst dann erwachte,wenn er bereits halb tot und mit Kräutertränken und einer ganzen Flasche Wein betäubt worden war. Diese Operationen mussten daher schnell gehen. Mut und Entschlossenheit …
Sie starrte das scharfe Skalpell mit der breiten Klinge an, das in ihrer Hand lag. Die Säge lag daneben auf einem der sauberen Tücher, die Wenzel gebracht hatte. Beide Klingen schimmerten in allen Regenbogenfarben; sie hatte sie so lange in die Kerzenflammen gehalten, dass sich sogar die Griffe zu erwärmen begonnen hatten.
Sie senkte die Klinge auf Lýdies Ellenbeuge. Sie wusste, was zu tun war: ein tiefer Schnitt, bis die Klinge auf den Knochen traf, einmal so rasch wie möglich um den gesamten Arm herumgeführt; dann das Sägeblatt in den Schnitt drücken und das Glied dort abtrennen, wo es am schwächsten war: in der Verbindung zwischen Unter- und Oberarm, direkt am Ellbogen. Dann … finde die Ader, aus der das Blut am stärksten pumpt … mach eine Ligatur … such die zweitstärkste Ader … halt die Luft an, damit du nicht auf die schreckliche Wunde atmest … das Blut spritzt dir ins Gesicht, aber du darfst nicht zurückscheuen … Lýdie bäumt sich auf und brüllt wie am Spieß … du kannst nur hoffen, dass Wenzel sie festhält … zieh den Gurt fest, den du oberhalb der amputierten Stelle um den Oberarm geschlungen hast … such die drittstärkste Ader … sie wird verbluten, wenn es zu lange dauert, oder ihr Herz wird vom Schock zerspringen, oder der Schmerz wird sie ganz einfach töten … halt die Schüssel mit der Paré-Mischung hoch, auch wenn du dir die Finger
Weitere Kostenlose Bücher