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Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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Familie Khlesl ausgelöscht hatten. Pater Silvicola passte nicht in das Schema. Was er tat, tat er nicht, um sich selbst zu erhöhen, noch, um irgendeine verborgene Perversität zu befriedigen. Im Gegenteil: Mittlerweile war Agnes sicher, dass er glaubte, richtig und anständig zu handeln. Wer war es, der gesagt hatte: Gott schütze uns vor einem ehrlichen Mann? Auf dieser Reise war Agnes bewusst geworden, dass ein Mann wie Pater Silvicola der schlimmste Gegner war, den sie je gehabt hatten. In seiner Welt war er derjenige, der in Gottes Auftrag handelte, und Agnes und ihre Lieben betrachtete er als die Anhänger des Teufels.
    Außerdem war sie mittlerweile überzeugt, dass er verrückt war. Ein verrückter Fanatiker, der sich als Werkzeug des Herrn verstand – ihr graute.
    Dennoch – wenn man es recht bedachte, stand zwischen Pater Silvicola, dem Feind, und Pater Silvicola, dem Verbündeten, nur ein einziges klärendes Gespräch. Und zugleich war klar, dass dieses Gespräch niemals stattfinden würde, denn der Pater würde nicht zuhören. Wäre sie selbst, Agnes, bereit gewesen, Pater Xavier Espinosa zuzuhören, der im Augenblick ihres Triumphs aufgetaucht war und ihren Sieg zunächst in eine monströse Niederlage verwandelt hatte? Oder Bruder Pavel, der Agnes zu ermorden versucht und stattdessen die Frau umgebracht hatte, die Agnes’ Freundin hätte werden können und die größte Liebe im Leben von Andrej von Langenfels gewesen war? Oder Heinrich von Wallenstein-Dobrowitz, der für den Augenblick gelebt hatte, in dem er Alexandra töten und mit ihrem letzten Herzschlag seine Lust über ihr ausgießen würde? Sie schüttelte unwillkürlich den Kopf. Dies alles und noch viel mehr sah Pater Silvicola, wann immer er einen der ihren anblickte – egal, ob es sichum sie selbst, um ihre Schwiegertochter Karina oder um ihre Enkelin Lýdie handelte. Nein, ein klärendes Gespräch würde es zwischen ihnen niemals geben können.
    Was hat man dir angetan? , flüsterte sie in Gedanken. Was hat man dir angetan, Kind, dass du es an denen rächen musst, die doch die Einzigen auf der Welt sind, die dich verstehen könnten?
    Sie betrachtete seine Hände. Er hatte sie im Schlummer zu Fäusten geballt. Plötzlich fiel ihr auf, dass die Fäuste etwas umschlossen, etwas Kleines, etwas, das nicht größer war als die Pulvermaße am Bandolier eines Musketiers. Was immer es war, er musste es irgendwo versteckt am Körper getragen und unbewusst hervorgeholt haben. Sie hob den Blick. Es traf sie wie ein Schock, als sie dem seinen begegnete. Seine Augen, zuerst verschleiert, dann übergangslos klar, waren stumpf vor Verachtung. Unwillkürlich sah sie wieder auf seine Hände, doch nun waren sie geöffnet und lagen in seinem Schoß. Was immer er in seinen Fäusten verborgen hatte, er hatte es wieder versteckt, noch bevor er richtig wach gewesen war. Sie stellte fest, dass sie nicht die Nerven hatte, seinem Blick noch einmal zu begegnen.
    Stattdessen beugte sie sich zum Wagenfenster hinaus. Andreas stand inmitten der Soldaten, die ihn auf dem Marsch umgeben hatten. Er sah erschöpft aus. Ihr Herz flog ihm zu. Andreas’ größte Angst war stets gewesen, die Kontrolle zu verlieren und hilflos zusehen zu müssen, wie die Familie unterging. Seit Pater Silvicola sich ihres Schicksals bemächtigt hatte, waren seine Tage nichts anderes gewesen als ein ständiger Kontrollverlust. Wie jeder Mutter fiel es ihr nicht schwer, unter den Speckschichten, unter den ersten grauen Haarsträhnen, unter den Falten und unter dem Bart des Erwachsenen das Kind zu sehen, das einmal zu ihr aufgesehen hatte mit Augen, in denen die Überzeugung stand, dass sie alles würde in Ordnung bringen können. Und wie jede Mutterfühlte sie den Stich der Erkenntnis, dass auch sie nur ein Mensch war und nicht jeden Schmerz tilgen konnte, der ihre Kinder heimsuchte – und den anderen, noch viel schmerzhafteren Stich, der mit der Frage einherging, wie die Zeit so schnell hatte vergehen und aus dem vertrauensseligen Kind, dem die Welt offenstand, ein ängstlicher, misstrauischer Erwachsener hatte werden können, dem nichts mehr Sorgen machte, als dass die Unwägbarkeit der Welt ihn eines Tages einholen würde.
    »Wo sind wir?«, fragte sie.
    Andreas machte eine vage Handbewegung. »Nicht mehr weit von Prag entfernt.«
    »Warum haben wir angehalten?«
    Die Stimme von Pater Silvicola gab die Antwort. »Weil es jetzt ans Abschiednehmen geht.«
    Er kletterte an ihr vorbei, öffnete

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