Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
in die Deckung einer weiteren Säule. Sie wollte etwas sagen, aber er legte ihr den Finger auf die Lippen. Als sie die Laterne aufklappen wollte, hielt er ihre Hand fest. Sie suchte seinen Blick. Er deuteteauf etwas. Sie hätte es übersehen. Er schien in der Nacht sehen zu können wie ein Luchs.
»Das riecht immer mehr«, flüsterte Samuel.
Tatsächlich hatte sich der Geruch hier verändert. Vorne hatten Staub, Feuchtigkeit und Alter geherrscht; hier mischte sich eine unterschwellig anklingende Note von Kräutern und Medizin darunter, von Verschwiegenheit und verratenen Träumen, von Zauberei, Heimlichkeit und den Ingredienzien eines in alchimistischen Studien verschwendeten Lebens. Aber das war es nicht, was Samuel meinte.
Weiter vorn war eine Falltür, und sie war aufgeklappt.
Samuel versuchte sich vorwärtszuarbeiten, doch sie hielt ihn fest. » Ich gehe«, hauchte sie.
Er schüttelte den Kopf.
»Sei nicht dumm, Rittmeister Brahe«, wisperte sie. »Wenn das eine Falle ist und ich geschnappt werde, kannst du mich leichter herausholen als andersherum. Und sollte dort unten niemand auf der Lauer liegen, ist es egal, wer zuerst geht.«
»Auf meinem Grabstein wird stehen: Er ließ die Frauen vorangehen«, murmelte Samuel.
»Ich sorge dafür, dass darunter eingraviert wird: Er war ein höflicher Mann.«
»Fahr zur Hölle, Euer Gnaden.«
»Solange du mir Rückendeckung gibst …«
Sie huschte nach vorn, bevor er weiter widersprechen konnte. Vor der Öffnung im Boden hielt sie an, legte sich vorsichtig auf den Bauch und schob sich dann an die Kante heran. Es kostete sie eine beinahe monströse Überwindung, in das Dunkel hineinzuspähen, das sich vor ihr auftat. Einen Augenblick wurde ihr klar, dass derjenige, der sich möglicherweise dort unten versteckt hatte, ihren Umriss würde sehen können, und für einen weiteren Augenblick glaubte sie den kurzen Luftzug zu spüren, der einer Klinge vorauseilte, die nach oben sauste und ihren Hals durchtrennte.
Nichts geschah. Sie fühlte Schwindel und merkte, dass sie aufgehört hatte zu atmen. Hastig schnappte sie nach Luft. Der Kräuter- und Medizingeruch war hier stärker, der Duft von lange eingetrockneten Essenzen, die Ahnung von als magisch empfundenen Zutaten. Sie schloss die Augen und öffnete sie, doch an die Höllendunkelheit dort unten konnten sie sich nicht gewöhnen. All ihre Sinne protestierten, aber es war nicht anders zu machen – sie zerrte die Laterne nach vorn, hielt sie über die Dunkelheit und klappte die Blende auf.
Das Ungeheuer sprang sie an.
5.
Ebba rollte sich beiseite. Sie verlor die Laterne, die klappernd davonrollte und erlosch. Wenn ihr Schock nicht so groß gewesen wäre, hätte sie geschrien. Ein Gewicht fiel auf sie, und sie schlug um sich. Das Gewicht packte ihre Hände und drückte sie nach unten, und ihr wurde klar, dass es Samuel war. Sie bemühte sich, der Panik Herr zu werden. Einen Augenblick lang lauschten beide in die Finsternis. Ebba spürte ihr Herz so hart pochen, dass es gegen Samuels Brust hämmern musste.
»Was hast du gesehen?«, hauchte Samuel.
Langsam wurde Ebba klar, dass Samuel sich nicht über sie geworfen hatte, um sie festzuhalten, sondern um sie zu beschützen. Sie räusperte sich. »Du brauchst keine Angst zu haben vor dem, was einmal auf deinem Grabstein stehen wird«, sagte sie schwach.
Er stützte sich auf die Arme und sah auf sie herunter. Seine Stimme klang, als lächle er. »Geht’s wieder?«
Sie nickte. Er rollte sich beiseite und holte ihre Laterne. Mit ein paar Handgriffen öffnete er sie, huschte zur Säulehinüber, holte die seine, entzündete die ihre an seinem Docht.
»Es war ein Monstrum«, sagte sie zu seinem Rücken.
»Gut, dass es brav dort unten bleibt«, erwiderte er, ohne sich umzudrehen. »Sonst kämen wir geradezu in Schwierigkeiten.«
»Samuel Brahe«, sagte sie drohend, »jemand, der eine Frau halb unter sich zerquetscht, weil er wegen nichts glaubt, die Türken greifen an, hat es gerade nötig, so zu reden.«
»Sehen wir nach«, sagte Samuel und gab ihr die Laterne. »Und denk daran: Wir fürchten uns nicht. Es sind die anderen, die sich vor uns fürchten.«
Sie versetzte ihm einen Rippenstoß, dann kauerten sie sich nebeneinander an den Rand des Schachts und leuchteten nach unten. Zu Ebbas Befriedigung erkannte sie, dass Samuel unwillkürlich den Atem anhielt.
Das Monstrum war noch da. Es hatte die Klauen gehoben, seine ledrigen Flügel waren weit gespreizt, und sein
Weitere Kostenlose Bücher