Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
gescheitert zu sein schien. Vor ihren Augen tanzten Lichtflecke. Mit dem Rücken stieß sie gegen den Eisenkäfig, der sich um die Gebetskanzel wand. Die Laterne senkte sich, und sie blinzelte und versuchte, durch die fehlfarbenen Schemen hindurch etwas zu erkennen. Licht aus der Laterne sickerte über eine bullige Gestalt, die in entspannter Haltung vor ihr stand. Die Gestalt fasste nach vorn, und Ebba fühlte, wie ihr der Dolch und das Rapier aus dem Gürtel gezogen wurden. Beide Waffen fielen zu Boden und wurden außer Reichweite gestoßen. Die Gestalt trat einen Schritt zurück. Ebba sah den Schimmer von weißem Haar.
»Und beim zweiten Blick haben wir eine Frau in Männerkleidung«, sagte die Gestalt. »Die bizarre Atmosphäre hier unten muss ansteckend sein. Können Sie mich verstehen?«
Hinter der Gestalt flammte ein Licht auf, das weiße Haar auf ihrem Kopf leuchtete plötzlich auf, und Samuel sagte: »Die Frage ist: Kannst du mich verstehen, Freundchen? Spreiz die Hände ab, damit ich sie sehen kann! Was du da in deinem Nacken fühlst, ist die Spitze einer ziemlich langen Klinge, und ich bin bekannt dafür, dass meine Hand gern mal zuckt.«
Im Gegenlicht von Samuels Laterne (wie hatte er sich nur lautlos die Leiter herunterstehlen können? Nicht zum ersten Mal war Ebba froh, dass sie auf derselben Seite standen) sah sie, wie das Gesicht des weißhaarigen Mannes sich zu einem Lächeln verzog. Das Licht aus seiner Laterne wanderte seitwärts, als er beide Arme abspreizte. Sie sah seine Augen glitzern.
»Langsam umdrehen«, befahl Samuel.
»Sie sollten etwas gegen das Zucken unternehmen«, sagte eine dritte Männerstimme aus dem Dunkel hinter Samuel. »Jemand könnte sich verletzen. Was Sie da an Ihrem Hinterkopf fühlen, ist die Mündung einer Pistole, und da wir im Gegensatz zu Ihnen hierhergehören, wäre es für uns kein Nachteil, wenn das Ding losginge.«
Für einen Moment herrschte Stillstand; Stillstand in Ebbas Gedanken, Stillstand unter den vier Menschen, die in der engen, alten Alchimistenkammer hier unten in der Dunkelheit einer hinter dem anderen standen und sich gegenseitig in Schach hielten. Samuels Laterne blendete sie zu sehr, als dass sie sein Gesicht hätte sehen können, aber die Züge des weißhaarigen Mannes, der vor Ebba stand, konnte sie vage erkennen. Das Lächeln auf seinem Gesicht war fast bedauernd, als wollte es sagen: Ihr habt euch das so schön ausgedacht, Kinder – es tut uns ehrlich leid, die Spaßverderber spielen zu müssen.
Dann sagte Alfred Alfredssons Stimme in die Stille und die Dunkelheit hinein in ebenso fast akzentfreiem Deutsch (Ebba hatte immer geahnt, dass in dem Wachtmeister mehr steckte, als er zugab): »Jo! Was für ein schönes Bild. Jetzt recken mal alle miteinander die Hände in die Höhe, damit der alte Alfred aussortieren kann, wer zu ihm gehört und wer nicht.« Und den Abschluss seiner Worte bildete das unmissverständliche Klicken eines gespannten Pistolenhahns.
7.
Agnes öffnete den Wagenverschlag und kletterte hinaus, noch bevor einer der Soldaten reagieren konnte. Dann traten ihr zwei in den Weg. Pater Silvicola, der in seinen Mantel gekauert am Feuer saß, blickte auf. Im Seitenlicht der kleinen tanzenden Flammen sah sein Gesicht hohlwangig, müde, jung und verletzlich aus.
»Wir müssen reden«, sagte Agnes.
Der Jesuit musterte sie lange. Schließlich machte er eine Handbewegung, und die Soldaten ließen Agnes durch. »Das ist weit genug«, sagte er, als sie sich auf ein paar Schritte dem Feuer genähert hatte.
»Dein Plan funktioniert nicht«, sagte Agnes. »Wenn Alexandra die Teufelsbibel wirklich an sich bringen kann, wird sie damit nach Würzburg zurückreiten. Und falls du vorhattest, sie vorher in Prag abzufangen, dann solltest du wissen, dass Prag in der anderen Richtung liegt.«
»Ich weiß, wo Prag liegt.«
»Dann verstehe ich nicht, was du vorhast.«
»Die Teufelsbibel ist nicht in Prag«, sagte er. »Du weißt das so gut wie ich.«
»Wenn das so ist, dann hast du eine deiner Geiseln selbst weggeschickt. Nicht sehr klug. Und Andreas und seine Familie bist du auch losgeworden. Wer weiß, wenn genug Zeit vergeht, gehe selbst ich dir am Ende noch verloren?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen, da du doch diejenige bist, auf die es mir ankommt.«
»Ich fühle mich geehrt.«
»Im Jahr 1572«, sagte Pater Silvicola, »gab es ein Blutbad. Ich meine nicht die Bluthochzeit in Frankreich, wo die Hugenotten zu Tausenden erschlagen
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