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Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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Überleben an einem Faden hing. Als Wenzel die Aussätzigen erwähnt hatte, war es ihr wieder eingefallen; die Geschichte, wie ihr Vater und Andrej von Langenfels Freunde geworden waren, hatte sie oft genug gehört. Agnes und Cyprian Khlesl hatten ihre Kinder, so lange es ging, vor dem Wissen um die Teufelsbibel bewahrt. Dann aber hatten die beiden sie in alle Einzelheiten eingeweiht. Und so erinnerte sich Alexandra auch an die Begegnung mit dem Mönch, der in einem Kellerraum unterhalb des Klosters unter den Leprakrankengelebt hatte, der Mönch, den nicht der Aussatz, sondern die eigene Schuld auffraß. Sie streckte den Kopf aus der Türöffnung und spähte zur Kirche hinüber. Dabei hörte sie, wie Wenzel über die Schutthaufen kletterte, um sich einen Überblick über das Kircheninnere zu verschaffen. Er musste die Geschichte ebenso gut kennen wie sie – nur dass seine Erinnerung getrübt war durch die Sorge um sie und die Erleichterung, dass sie nicht verlangt hatte, an seiner Stelle die Kirche zu durchsuchen … die Kirche, die jeden Moment völlig zusammenbrechen konnte, und dann sollte sie lieber über ihm einstürzen als über ihr … Sie lächelte.
    Sie tastete sich in den Gang hinein. Erinnerungen an die alte Ruine in Prag schossen in ihr hoch, die einmal der Familie Khlesl gehört hatte, dann Sebastian Wilfing, dann dem alten Kardinal, der sie als Versteck genutzt hatte für eine Truhe mit einem ganz bestimmten Inhalt. Die Erinnerung brachte auch die Bilder der mumifizierten Zwerge mit sich, die in der Truhe gelegen hatten, und die tödlich geschockten Gesichter ihres Vaters, Onkel Andrejs und des alten Kardinals. Sie räusperte sich. Es gab bessere Erinnerungen, um mit ihnen in einen lichtlosen Gang einzudringen.
    Nach einigen Herzschlägen merkte sie, dass herabgefallener Schutt den Gang blockierte. Der Boden des Obergeschosses war morsch geworden und heruntergebrochen – eine wirre Masse aus Holzbrettern, Balken und zerfetzten Strohmatten. Sie konnte die Umrisse des Schutts erkennen. Dahinter musste es eine Lichtquelle geben.
    »Alexandra?« Wenzels Stimme klang dünn und fern hier drin.
    »Alles in Ordnung!«, schrie sie zurück.
    »Alexandra?«
    Sie schnaubte und tastete sich zum Ausgang zurück. »Mir geht’s gut!«, rief sie in Richtung der Kirche.
    »Schon was gefunden?«
    »Nein! Du?«
    »Den Opferstock …«
    »Ist was drin?«
    »Jetzt schon. Ich habe was reingetan.«
    »Du bist eine Zierde der katholischen Kirche!«
    Er erwiderte nichts darauf.
    »Wenzel?«
    »Ja?«
    »Ich kann nicht vernünftig suchen, wenn du alle paar Minuten fragst, ob es mir gut geht.«
    »Ah …«
    »Wenn mir etwas zustößt, gebe ich rechtzeitig Bescheid.«
    Alexandra konnte ihn seufzen hören, obwohl das Geräusch nicht bis zu ihr trug.
    Nachdem sie einige Zeit an dem Hindernis im Gang herumgetastet hatte, fand sie eine Möglichkeit, sich daran vorbeizuzwängen. Dahinter war der Gang wieder frei, und etwas Licht sickerte herein. Sie erkannte, was geschehen war: Der Nebenausgang des Klostergebäudes, der vermutlich in den früheren Kräutergarten führte, war offen, aber der hintere Teil des Dachs war zusammengebrochen und blockierte ihn. Das Tageslicht fand Wege um den Schutthaufen auf der Schwelle herum. Tageslicht … lange würde es nicht mehr hell sein! Sie schlurfte weiter und stellte fest, dass sie mit ein wenig Anstrengung genügend Steine beiseiteräumen konnte, um den Schutthaufen zu überwinden. Sie kletterte eine halbe Mannshöhe hinauf und spähte durch eines der Löcher hindurch.
    Es war nicht der Kräutergarten. Es war ein kleiner Friedhof. Die meisten Grabkreuze waren umgesunken und vermodert, eine kleine Handvoll von Steinmetzen bearbeiteter Grabsteine zeigte, dass der eine oder andere Klostervorsteher hier von Adel gewesen sein und über reichhaltige Finanzmittel verfügt haben musste. Lange vorbei … das Kloster warnicht mehr, die Grabsteine standen schief, die Namen von Wind und Wetter ausgelöscht und von Flechten überwuchert. Sic transit gloria mundi , dachte Alexandra. Der Anblick des ungepflegten Gottesackers ließ sie erneut erschauern. Sie sah die Flanke der Kirche zu ihrer Linken und hörte das Geröll kollern, wo Wenzel einen halbherzigen Versuch unternahm, irgendetwas aus dem Weg zu räumen.
    Dann zog ein einzelner Grabstein ihre Aufmerksamkeit auf sich; er schien neuer zu sein als die anderen … und Tränen traten ihr in die Augen, als sie die Inschrift lesen konnte. Es standen nur zwei

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