Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
stapften auf das Offizierszelt zu. Jetzt fiel ihm auch das kleinere Zelt daneben auf, das den Offiziersfrauen vorbehalten sein musste. Er renkte sich den Hals aus, aber seine Frau und seine Tochter waren nirgends zu sehen, ebenso wenig wie die anderen Frauen. Sah er dort einen Pfosten in die Erde getrieben? Mein Gott, ja, und an seinem oberen Ende war ein eiserner Ring angebracht. Die Soldaten gestern hatten recht gehabt! Er stierte den Pflock an. War der Schnee darum herum nicht aufgewühlt und mit Schlamm durchsetzt, als wäre jemand die ganze Nacht daran gefesselt gewesen und hätte versucht, sich durch Auf- und Abstampfen warm zu halten? Seine Lippen begannen zu zittern. Bedeutete die Stille im Zelt, dass Karina oder Lýdie dort drinnen im Sterben lagen, fiebernd nach einer Nacht in derWinterkälte im Freien, während die Gräfin neben ihnen saß und fragte, ob nun klar sei, dass die Heilige Jungfrau eine Erfindung der Päpste wäre?
Dann erkannte er, dass der Pfosten zum Anbinden von Pferden diente und der Boden von Hufspuren zerwühlt war …
»Sieh dir den Kandirer an«, spottete einer seiner Bewacher. Andreas merkte, dass ihm Tränen in die Augen gestiegen waren. Er wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Die Mienen der Soldaten waren verächtlich.
Sie führten ihn zu seiner Überraschung um das Offizierszelt herum und weiter zum Lager hinaus. Ganze Gruppen von Soldaten schlenderten in dieselbe Richtung, und diejenigen, die gerade aus den Zelten krochen und die Völkerwanderung sahen, kamen hinterdrein, sich im Gehen die Hosen zubindend oder die Jacken zuknöpfend.
»Wo sind meine Frau und meine Tochter?«, fragte Andreas.
Die Soldaten blickten ihn finster an. Andreas ließ den Kopf hängen.
Weiter vorn ertönte lautes Gelächter. Ein paar Soldaten waren stehen geblieben und betrachteten eine Szene neben einem Zelt: Ein halbes Dutzend Männer wälzte sich wiehernd vor Vergnügen im Schnee, während einer von ihnen mit blankem Hintern gebückt dastand und versuchte, sich mit dem Schneematsch die Kehrseite zu reinigen. Flüche entströmten in einem einzigen, von keinem Atemzug unterbrochenen Wutanfall seinem Mund.
»He, was’n los?«, rief einer von Andreas’ Bewachern.
»Der Quiengoffer is’ beim Seffeln ausgerutscht un’ auf seinen Arsch gefallen, mitten rein in die eigene Scheiße!«
Die beiden Männer begannen zu lachen und riefen dem Unglücklichen ein paar aufmunternde Gemeinheiten zu. Dann gaben sie Andreas einen Stoß, damit er schneller ging.
»Ihr seid hier in Böhmen«, sagte Andreas. »Ihr braucht eine böhmische Latrine.«
»Hä? Was soll’n das sein?«
»Drei Stöcke«, sagte Andreas. »Zwei kurze und ein langer.«
»Hä?«
»Die Kurzen steckst du in die Erde und hältst dich beim Kacken dran fest.«
Die Soldaten grinsten. »Und den Langen?«
»Den brauchst du, um die Bauern zu verscheuchen, die dir den Dünger unterm Hintern wegtragen wollen.«
Die Soldaten platzten heraus und grölten vor Lachen. Einer ging tatsächlich so weit, Andreas auf die Schulter zu schlagen. »Den merk ich mir«, keuchte er.
»Meine Frau und meine Tochter«, sagte Andreas bittend. »Habt ihr wirklich nichts …«
»Nee.« Die beiden schüttelten die Köpfe, doch die Verachtung war aus ihrer Stimme geschwunden. »Du wirst sie wiedersehn, Alter.«
»Meint ihr?«
»Klar. In der Hölle. Wir soll’n dich zum General bringen.«
»In … der … Hölle? Sind sie … ist ihnen …?«
»Keine Ahnung. Aber der Ganhart holt jeden von uns, nich’ wahr? Der Teufel, wenn du verstehst.«
Andreas’ Lippen bewegten sich.
»Wir sin’ da. Jetzt halt die Fresse un’ sag dem General schön, was er hör’n will, dann macht er’s dir vielleicht gnädig. Nich’ so wie dem Seffer da vorn.«
Sie waren durch einen alten Hohlweg zu einer Stelle außerhalb des Lagers gelangt, an der früher einmal eine Wegkreuzung gewesen sein musste oder ein Feldkreuz, die beide längst nicht mehr da waren. Die drei Bäume waren noch da, die gewöhnlich an einer Stelle wie dieser gepflanzt wurden,drei mächtige Linden. Andreas wurde zu einer Gruppe von Offizieren geführt, die grimmige Gesichter machten. Eine weitere Gruppe Männer stand unter einer der Linden, unter ihnen einer, der nur ein Hemd trug und einen Strick um den Hals. Der Strick führte über einen starken Ast einer Linde und auf der anderen Seite wieder herunter, wo er in der Faust eines Soldaten endete. Andreas hörte wüstes Gefluche aus der Gruppe
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