Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
angstvollen Augen starrte er in die Dunkelheit.»Wir hatten unser Nachtlager auf offenem Feld aufgeschlagen, südöstlich von Lützen« erzählte Samuel. »Die Kaiserlichen unter Wallenstein lagerten uns fast gegenüber, nordwestlich der Straße zwischen Lützen und einem Ort namens Markranstädt …« Er schnaubte und schüttelte den Kopf.
»Was man sich alles merken kann. Ich weiß nicht mehr alle Namen der Kameraden, die bei Lützen gefallen sind, aber an dieses bedeutungslose Kaff kann ich mich erinnern!«
Doch nicht nur die Erinnerung an den Ortsnamen kroch in Samuels Hirn; noch während er sprach, fühlte er wieder die neblig feuchte Novemberluft, wie sie bis unter seine Kleidung drang, hörte die verhaltenen Gespräche zwischen den Männern während des Kugelgießens, das stete Schippen der Pioniere hüben wie drüben, die Schanzen aufwarfen und Stellungen für die Kanonen aushoben, das Klinkern des Zaumzeugs, wenn die Pferde ihre Köpfe schüttelten … sah die Feuer des kaiserlichen Heers drüben auf der anderen Seite der Straße … fühlte die Siegesgewissheit, die sie alle beseelte, die Überzeugung, dass ihre Mission eine gute war und der Krieg, den sie führten, ein gerechter, empfand den Stolz, nicht nur Mitglied eines Heeres zu sein, das der große Gustav Adolf führte, sondern mehr noch zu seinem Leibregiment zu gehören, seiner Elite, den Männern, denen er sein Leben anvertraute: den Småländischen Reitern.
»Wir dachten gar nicht darüber nach, dass es schlimm ausgehen könnte«, sagte er. »Der Gedanke hatte überhaupt keinen Raum. Wir waren nicht besoffen von unserem Erfolg, aber wir hielten ihn für gegeben.«
»Ihr habt euch geirrt«, sagte Alexandra.
Samuel nickte. »Blutig geirrt.«
Gustav Adolf hatte die Kaiserlichen überraschen wollen, doch es war ihm nicht gelungen. Samuel erinnerte sich an den massigen König in seinem Hirschlederkoller, wie er vor dem Offizierszelt auf- und abschritt und erwog, ob er seinHeer gegen die in den Straßengräben und den Gärten vor der Stadt gut verschanzten Truppen Wallensteins führen sollte. Dann waren die Kundschafter zurückgekommen und hatten ein paar Bauern mitgebracht, die bereitwillig Auskunft gaben, dass die Kaiserlichen den Schweden unterlegen seien, weil die acht Regimenter des Generals Pappenheim, die Wallenstein leichtsinnig vorgeschickt hatte, noch nicht wieder am Ort des Geschehens eingetroffen waren. Gustav Adolf hatte gelächelt. Auch dieses Mal würde der Sieg wieder ihm gehören, Disziplin gegen Verrohung, Geschlossenheit und Einigkeit gegen die Eifersüchteleien unter den kaiserlichen Befehlshabern, Befreiungswille gegen Unterdrückung.
Um Mitternacht wurde es ruhig auf beiden Seiten.
»Niemand hat einen Sonnenaufgang wirklich erlebt, wenn er ihn nicht am Morgen einer Schlacht gesehen hat«, sagte Samuel. »Du wirst Zeuge bei der Geburt eines neuen Tages und machst dich mit dem Gedanken vertraut, dass du seinen Abend vielleicht nicht erleben wirst; dass es der letzte Sonnenaufgang überhaupt sein könnte, den du erlebst. Wenn du Pinsel und Farbe dabeihättest, könntest du ihn malen, und es würde ein Meisterwerk werden, weil du alles mit einer solchen Klarheit und Deutlichkeit siehst wie nie zuvor in deinem Leben. Die meisten fangen genau in diesem Moment zu beten an, und sie beten nicht: Herr, lass mich überleben!, oder: Herr, lenk die Kugeln von mir ab! Sie beten: Herr, lass mich noch einen weiteren Morgen sehen, ich wusste bis heute nicht, wie wunderschön deine Schöpfung ist! Doch dann stieg Nebel aus den Äckern und den Bachläufen auf, wurde immer dichter und dichter, der Glanz des Sonnenaufgangs erlosch, und das Licht wurde fahl …«
Wallensteins Truppen hatten die nahe Stadt in Brand gesteckt. Der Rauch stand dicht über dem Boden und erschwerte die Sicht noch mehr. Innerhalb der Zeit, die es brauchte, um den Feldgottesdienst abzuhalten und die Stellungen zubeziehen, war das schwedische Heer in einer Nebelsuppe gefangen, in der die Männer keine drei Mannslängen weit sehen konnten. Es schien, als tauche der König, der auf seinem Pferd vor der Front Spalier ritt und seine Truppen anfeuerte, aus dem Nichts auf, und ehe man noch drei Worte von ihm gehört hatte, verschwand er wieder in der Düsternis, was noch viel erschreckender war. Geräusche, die der Nebenmann machte, klangen gedämpft, dafür konnte man hören, wenn drüben in den feindlichen Linien jemand hustete.
Die Småländischen Reiter standen auf dem
Weitere Kostenlose Bücher