Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
seine Verschwörerblicke in die Gasse, dann zupfte er an einem Stück Papier, das er an die Tür geheftet hatte. Mit ungelenken Buchstaben war darauf geschrieben: OAMDG SJ – Omnia Ad Maiorem Dei Gloriam Societas Jesu . Jemandem, der nicht zum Orden der Jesuiten gehörte, wäre der Zettel mit seinen beiden Akronymen niemals aufgefallen. Andererseits …
»Idioten«, murmelte der Mann, zerknüllte den Zettel und schloss die Tür.
13.
Zuerst hatte Alexandra gedacht, dass Wunsiedel doch keine Geisterstadt sei. Es war nur so, dass diejenigen, die dort geblieben waren, sich in den dunklen Höhlen ein paar halbwegs heil gebliebener Häuser verkrochen. Dann aber hatte sie ein paar dieser Unglücklichen gesehen und festgestellt, dass sie nichts anderes als lebende Leichname waren. Einige von ihnen würden das Christfest nicht mehr erleben.
Der weniger in Mitleidenschaft gezogene Bereich der Stadt,in dem das schwedische Heer lagerte, war von einem dichten Kordon aus Wachen abgeriegelt. Alexandra hatte das Gefühl, dass die Wachen nach innen ebenso arbeiteten wie nach außen; sie ahnte, dass selbst die elenden Ruinenbewohner nicht vor den Soldaten sicher gewesen wären, hätte man diese nicht wie in einem Lager gehalten. Die Stille, die über beiden Teilen der Stadt lag, war beklemmend. Wer einmal eine grölende Horde Soldaten gehört hatte, die saufend und fressend und prügelnd und folternd und vergewaltigend durch die Gassen zog – so wie Alexandra es in Prag erlebt hatte, als die Passauer Landsknechte dort gehaust hatten –, hätte nicht glauben mögen, dass es noch etwas Schlimmeres gab als dieses Geräusch. In Wahrheit war die Abwesenheit jeden Geräuschs über einem Kriegslager, das möglicherweise mehrere Tausend Mann umfasste, noch unheimlicher. In der Stille konnte man förmlich den Zorn spüren, der von dem Lager ausging, den Zorn einer hungernden, frierenden, verrohten Soldateska, die alles hasste, mit dem sie zu tun hatte, am meisten ihr eigenes Leben, besudelt vom Gewicht der Untaten, die sie begangen hatte und noch begehen würde. Alexandra war froh, dass man ihre kleine Reisegruppe nicht in den abgesperrten Bereich gelassen hatte. Sie wusste, dass es nicht aus Rücksicht auf sie und ihre Mutter geschehen war, sondern weil die Disziplin, die das Kriegslager in dieser Totenstille hielt, mit zwei Frauen in unmittelbarer Nähe nicht aufrechtzuerhalten gewesen wäre.
Sie fragte sich, warum diese Stille notwendig war. Das Heer schien groß genug zu sein, sich gegen jeden Angriff verteidigen zu können, noch dazu, da es in den Ruinen der Stadt Stellung bezogen hatte. Rein technisch war General Wrangels Heer aus dieser Gegend abgezogen und hatte sie den bayerischen Soldaten überlassen; tatsächlich war die Front in diesem Krieg jedoch immer da, wo man als Soldat gerade stand, und es hatte schon kleinere Truppenteile gegeben,die sich vom Hauptheer gelöst hatten und plündernd durch ein Gebiet zogen, das eigentlich vom Feind besetzt war. Aber sie zweifelte daran, dass dieses schwedische Heer nur ein Truppenteil war, dessen Anführer beschlossen hatte, nicht die nächste Schlacht abzuwarten, sondern gegen die verarmten Bauernhöfe und elenden Städte zu kämpfen und noch die letzten Essensvorräte und Habseligkeiten aus ihnen herauszupressen. Dazu war die Zucht zu streng. Sie wusste, dass zu jedem Heer ein gewaltiger Tross aus den Familien der Soldaten, aus Handwerkern, Waffenschmieden und Futtermachern gehörte, manchmal zahlreicher an Köpfen als die Soldaten selbst, und dass ein solcher Haufen praktisch nie zu disziplinieren war. Dass es hier doch der Fall war, schien darauf hinzudeuten, dass die Truppen nicht nur lagerten, sondern sich auf eine Mission vorbereiteten – eine Mission, die zuallererst vorschrieb, dass ihr Hiersein so geheim wie möglich zu bleiben hatte. Noch während sie sich fragte, welcher Art diese Mission sein konnte, wurde ihr klar, was diese Geheimhaltung noch bedeuten musste.
»Die Soldaten halten sogar die Mauerbreschen und die Stadttore in dem Teil besetzt, der außerhalb ihres Lagers liegt«, sagte Agnes und wies auf die undeutlich sichtbaren Gestalten am Ende der Gasse. Niemand hatte die beiden Frauen daran gehindert, durch die dunklen Gassen zu streifen. Alexandra war aufgebrochen, ohne darüber nachzudenken; wenn überhaupt, hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, was aus Samuel Brahe und seinen Männern geworden war.
Als Alexandra ihre medizinischen Werkzeuge zusammengepackt
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