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Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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hatte, war Agnes wortlos an ihre Seite getreten und hatte ihr geholfen. Der Schreiber und der Bauer hatten keinen Finger gerührt. Alexandra hatte sich trotz ihrer aufsteigenden Wut daran erinnert, dass man mit Nachsicht und Mitgefühl am besten in seiner unmittelbaren Umgebung begann.
    »Wir sehen nach, ob wir irgendetwas für die Menschenhier tun können«, hatte sie gesagt. »Mir wäre es recht, wenn Sie beide hierblieben und unsere Bleibe bewachten.«
    Der Schreiber hatte sich in dem eiskalten Saal im halb zerstörten Haus, in das sie eingezogen waren, mit aufgerissenen Augen umgesehen; der Bauer hatte nur den Kopf geschüttelt. »Gott behüte Sie«, hatte er geflüstert. »Gott behüte Sie, wenn Sie da rausgehen.«
    Ihre hilflose Mission hatte Alexandra und Agnes in der nächsten Stunde zu zwei Erkenntnissen verholfen: dass die Angst der Überlebenden so groß war, dass auch ein Hilfsangebot die Türen nicht öffnete, und dass sie in Wunsiedel Gefangene waren, auch wenn sie keine Ketten trugen. Die Geisterstadt würden sie nur mit der Gnade des schwedischen Generals wieder verlassen können. Als Alexandra dies endgültig klar geworden war, hatte die Furcht der Menschen hier sich unter ihren Panzer aus Verdruss und Wut gestohlen. Und jedes vergebliche Klopfen, jedes furchtsame Schweigen hinter einer verrammelten Tür fachte ihre Angst weiter an.
    »Mutter …«
    Agnes lächelte; in der Dunkelheit war ihr Gesicht kaum zu erkennen. »Ich weiß«, sagte sie. »Hier, da ist wieder ein Haus mit einer geschlossenen Tür.« Sie klopfte leise daran. »Ist jemand drin? Können wir helfen?«
    »Mutter, die werden uns hier nicht mehr weglassen.«
    »Hast du gedacht, der Reiteroberst hätte uns aus reiner Menschenfreundlichkeit sein Geleit angetragen?« Agnes klopfte erneut. »Wir sind unbewaffnet und wollen helfen. Ist jemand da?«
    »Wir können nicht hierbleiben. Wir müssen nach Würzburg!«
    »Niemand weiß das besser als ich.«
    Die Tür öffnete sich einen Spalt, gerade als Agnes zurücktrat. »Seid ihr Klosterschwestern?« Die Stimme klang wie Asche.
    Alexandra räusperte sich. »Nein. Ich bin …« Seltsam, dachte sie, dass sie auch in dieser Situation noch immer zögerte, es auszusprechen. »Ich bin Ärztin. Braucht ihr Hilfe?«
    Die Tür schloss sich wieder. Alexandra starrte sie an. Ihr Magen fühlte sich wie ausgehöhlt an, und ihr Herzschlag hallte schwer und beklommen darin wider. Wie konnten sie hier am Leben bleiben? Und wie kamen sie wieder heraus?
    »Lass uns zurückgehen«, sagte Agnes, der nicht anzusehen war, ob sie Alexandras Sorgen teilte. »Ich bin ein altes Weib; ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten.«
    »Mutter«, sagte Alexandra und lächelte trotz der Panik in ihrem Innern, »wenn ich in deinem Alter noch deine Kraft habe, werde ich glauben, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht.«
    Agnes hakte sich bei ihr ein. Langsam trotteten sie auf dem Weg zurück, auf dem sie hergekommen waren. Alexandra versuchte sich zu erinnern, wo sie abbiegen mussten. Es war nicht leicht, sich zu orientieren in einer Stadt, in der die meisten Häuser hohle Fassaden waren und die Finsternis regierte. Sie waren erst ein paar Schritte weit gekommen, als sie hörten, wie die Tür hinter ihnen erneut aufging.
    »Ihr wollt wirklich helfen?«, fragte die aschene Stimme.
    Sie blieben stehen. Alexandra drehte sich um. Eine in Decken und Lumpen gehüllte Gestalt stand auf der Gasse.
    »Ja«, sagte Alexandra.
    »Gepriesen sei der Herr. Kommt. Bitte, kommt! Mein Kind stirbt.«

    Damals, in Prag, nach dem Tod Mikus und Kryštofs, nach der Trauerfeier, nach der Beerdigung, nachdem alle gegangen waren und Alexandra zum ersten Mal seit Tagen wieder allein gewesen war (und begriffen hatte, wie leer ihr Dasein von nun an sein würde), war sie blind vor Trauer durch die Räume ihres Hauses gestolpert, sich der mitleidigen Blickedes Gesindes bewusst und sie alle dafür hassend, dass sie nicht den gleichen Schmerz wie sie verspürten. Im Grunde genommen war dieses Leid nie von ihr gewichen, die Zeit und der langsam gewachsene Grimm, dass es solches Leid gab, dass die Menschen nichts dagegen tun konnten und Gott offensichtlich nichts unternehmen wollte, hatten es nur zugedeckt. Vielleicht hätte der Grimm über ihre Ohnmacht sie zu einer verbitterten Frau gemacht, wenn nicht …
    Alexandra hatte in all den Jahren immer wieder Kraft aus der Erinnerung geschöpft, der Erinnerung an die erste Begegnung mit Barbora, der Hexe.

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