Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
vor.«
Die Frau packte Alexandra am Arm, als sie aufstand. »Kommt ihr wieder? Ihr kommt doch wieder?«
»Natürlich kommen wir wieder. Ich brauche nur etwas … äh … Bewegungsfreiheit. Wir lassen euch nicht im Stich.«
Die Frau löste ihre Hand zögernd von Alexandras Arm. »Es ist nur«, sagte sie mit ihrer aschenen Stimme, »dass die Kleine alles ist, was ich noch habe.«
»Ja«, sagte Alexandra, und ihre Stimme nicht beben zu lassen war eine größere Anstrengung, als einen Ochsen hochzuheben, »ich verstehe.«
Draußen zerrte sie sich die Maske vom Gesicht und atmete in gierigen Zügen die kalte Nachtluft ein. Agnes löste die Bänder ihrer eigenen Maske, wog sie in der Hand und musterte dann ihre Tochter. Alexandra zuckte zurück, doch Agnes wischte ihr nur eine Träne von der Wange.
»Ich bin erbärmlich«, flüsterte Alexandra. »Ich habe es dort drin nicht mehr ausgehalten.«
»Es ist Nervenfieber, nicht wahr?« Agnes’ Stimme wühlte in Alexandras alter Wunde. Miku, mein Miku … Alexandra konnte das Schluchzen nicht länger unterdrücken.
»Du bist eine gute Helferin, Mama.«
»Gott sei der armen Kleinen gnädig. Und ihrer Mutter.«
»Wenn Gott gnädig wäre, steckten sie jetzt nicht in dieser Lage!« Alexandra wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht und begann in ihrer Tasche zu kramen.
»Was suchst du?«
»Ich habe getrocknete Kamille dabei. Und Salbei in rauen Mengen. Es wird die Beschwerden zumindest erleichtern. Verdammt, wo ist das Zeug?«
»Wird es die Kleine retten?«
Alexandra schüttelte verbissen den Kopf, ohne aufzusehen. Die Zangen, Messer und Sonden klimperten in der Tasche, als sie sie durcheinanderwarf. »Wer hat hier drin so eine Schlamperei angerichtet?«
»Wenn ich mich recht erinnere«, sagte Agnes langsam, »haben wir getrocknete Schimmelpilze dabei … und du hast gesagt, dass auch fermentierte Getreidesäfte bei solchen Erkrankungen …«
»Ja, das habe ich gesagt! Ah, hier ist die Kamille. Verflucht, wieso ist das so wenig?«
»Dann könntest du doch versuchen …«
Alexandra hielt inne und blickte auf. Die Augen ihrer Mutter waren ruhig auf sie gerichtet. Alexandra ließ die Schultern und die Tasche sinken. »Weil meine Vorräte für die Behandlung von Nervenfieber nicht reichen«, sagte sie kaum hörbar. Sie konnte dem Blick Agnes’ nicht länger standhalten. »Die Heilmittel, die ich dabeihabe, helfen gegen äußere Verletzungen, gegen Ruhr und all das, aber nicht …« Sie holte Atem.
»Du meinst, wenn du dem Kind hier zu helfen versuchst, kannst du Lýdie nicht mehr retten.«
Alexandra nickte und kämpfte neue Tränen zurück.
»Du meinst, dass du hier und jetzt entscheiden musst, wem du das Geschenk des Lebens anbieten kannst.«
»Ich meine«, sagte Alexandra aus einer vollkommen zugeschnürten Kehle, »dass ich hier und jetzt entscheiden muss, wen ich zum Tode verurteile.«
Agnes schwieg so lange, dass Alexandra den Blick hob. Die Augen ihrer Mutter glänzten. »Dieser Zorn«, flüsterte Agnes. »Ach, mein Kind, dieser Zorn. Wann wirst du den kleinen Miku endlich gehen lassen und verstehen, dass es nicht deine Schuld war?«
»Lýdie wird leben!«, sagte Alexandra. »Und dieses Kind hier wird sterben, so wie Miku gestorben ist.« Sie hob den Blick herausfordernd zum Himmel. »Wenn Du dort oben die Wahl mir überlässt, dann musst Du auch mit den Folgen zurechtkommen!«
»Alexandra!«
»Gehen wir wieder hinein. Der Kräutersud wird ihr zumindest …«
Alexandra brach ab, als sich eine zerlumpte Gestalt vorsichtig aus der Tür schob. Sie trug ein Bündel auf dem Arm. Alexandra schob hastig die Maske über Mund und Nase.
»Nein«, sagte sie, »nein! Ich weiß, dass es heißt, die frische Luft sei gesund, aber nicht für die Kleine. Bring sie sofort wieder hinein. Wir sind nicht davongelaufen. Wir mussten nur …«
Sie sah der Gestalt ins Gesicht und erkannte, dass es nicht die Mutter des Kindes war, sondern einer der anderen unseligen Bewohner der Ruine. Sie sah struppige Wangen und Augen, die von roten Ringen umgeben waren.
»Danke«, sagte der Mann. »Danke dafür, dass Sie uns helfen wollten.«
»Ich will immer noch …«
»Es ist sinnlos«, sagte der Mann.
»Aber ich kann …«
»Alles, was Sie uns geben konnten, haben Sie uns gegeben – für ein paar Minuten Hoffnung.«
»Oh, Alexandra«, sagte Agnes mit brechender Stimme.
Erst jetzt sah Alexandra, wie schlaff das Bündel in den Armen des Mannes hing. Sie zerrte die Tücher
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