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Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman

Titel: Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Duebell
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vor ihm ihre Fahrzeuge an dem Loch vorbeimanövriert hatten, und tat so, als lasse es ihn nicht innerlich zusammenzucken, dass zwischen den Rädern auf der einen Seite und dem Rand des Lochs keine Handbreit Platz mehr war; so wie er auch vorzugeben versuchte, dass er sich großartig fühlte und keineswegs wie jemand, der schon auf dem halben Weg zu seinem Schöpfer war. Als es endlich weiterging, kostete es ihn all seinen Willen, die Beine zu bewegen. Er schritt so aufrecht an dem klaffenden Loch vorbei, wie es nur jemand zuwege bringt, der innerlich torkelt. Zwei Mägde mit Körben unter den Armen kamen ihm entgegen und schenkten ihm ein Kichern und ein Augenzwinkern, bis sie näher heran waren und die Einzelheiten an seiner schlanken, hochgewachsenen Gestalt und seinem hübschen, scharf geschnittenen Gesicht erkannten: die fiebrigen Augen, die schwarzen Halbmonde darunter, die entzündeten Nüstern, die aufgeplatzten Lippen. Sie drückten sich an ihm vorbei. Auf undeutliche Weise fühlte Pater Silvicola Befriedigung darüber; mit Frivolität hatte er sich immer schwergetan. Das Gekicher, das ihm oft im Vorbeigehen signalisierte, dass sein normalerweise blendendes Aussehen bemerkt worden war, rief ein anderes Gekicher aus seiner Erinnerung wach, ein Gekicher, das aus gewalttrunkenen Männerkehlen stammteund mit dem Geruch von billigen Fackeln und frisch vergossenem Blut einherkam. Es war eine Erinnerung, auf die er verzichten konnte.
    Er heftete die rot geränderten Augen auf die drei spitzen Turmhelme von Sankt Burkard am anderen Mainufer. Die kleine, alte Kirche war zwar nicht das Ziel seiner Pläne, aber zumindest das der dreitägigen Reise, die ihn von Münster nach Würzburg zurückgeführt hatte. Sie würde das Ende der Schmerzen bedeuten … dieser zumindest. Die Zukunft hielt weitere Schmerzen bereit. Es war sein Los, und er beklagte sich nicht darüber. Außerdem waren die Schmerzen wichtig … und gut.
    Beim Torturm, der auf dem letzten Viertel der Brücke prangte und das Westufer mit der Marienfeste von der am Ostufer gelegenen Stadt abriegelte, entstand eine neuerliche Verzögerung. Pater Silvicola drückte die Knie durch und fasste sich in Geduld. Der Mann mit dem Karren vor ihm lehnte sich seufzend an sein Gefährt und nestelte eine Flasche vom Gürtel los. Pater Silvicola hörte das gluckernde Geräusch in seiner unmittelbaren Nähe, und seine Lippen zuckten. Einen Augenblick lang konnte er sich nicht beherrschen, und die Zunge kam zwischen den Lippen hervor und leckte darüber. Sie hinterließ kaum Feuchtigkeit. Der Gestank, den der wie Schimmel auf seiner Zunge liegende Belag verursachte, stieg ihm in die Nase, vermischt mit seinem Schweißgeruch und dem des Pferdes, das er schaumig geritten und in einem Stall gleich innerhalb der Stadtmauern hatte stehen lassen. Direkt neben ihm kramte eine ältliche Frau in ihrer Schürze und förderte eine dünne, krumme Karotte zutage. Sie nagte daran, eine speichelträchtige Angelegenheit angesichts der geringen Anzahl von Zähnen in ihrem Mund. Pater Silvicola schloss die Augen. Wieso fiel einem immer nur dann auf, dass alle anderen um einen herum ständig aßen und tranken, wenn man selbst Hunger und Durst litt? Gott sah es offenbarals seine Pflicht an, den Aufrechten noch kurz vor dem Ziel die Versuchung in den Weg zu führen. Aber Pater Silvicola würde nicht straucheln. Er hatte eine Aufgabe in der Sankt-Burkards-Kirche zu erfüllen, und erst wenn diese vollbracht war, konnte er wieder auf seinen Leib Rücksicht nehmen. Ein Schauer lief ihm über den Rücken; sein Gewand war unterhalb des Mantels nass vor Schweiß, und der feuchte Schneewind wehte ihn an wie ein Todeshauch.
    Als er die Kirche endlich betrat, schien ihm der Weg vor zum Altar länger als die ganze Strecke durch die Stadt. Er fiel auf die Knie, dann nach vorn, streckte sich auf dem Bauch aus und spreizte die Arme seitlich ab. Die Kälte des Steinbodens drang in seinen zitternden Körper und ließ seine Wange taub werden, wo sie sich an die Fliesen schmiegte. Er keuchte. Die Wirklichkeit begann sich mit Fantastereien zu vermischen, und er fühlte seinen Herzschlag wie Stiefeltritte, die ihn in die Rippen trafen.
    »Herr, vergib mir, denn ich habe gesündigt«, flüsterte er. »In Deine Hände empfehle ich die Seele von Pater Giuglielmo Nobili. Er war ein besserer Mensch als ich und ein würdigeres Mitglied der Societas Jesu. Nimm ihn gnädig auf und vergelte ihm die Sünde, die ich an ihm

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