Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
bemühten. Anderswo waren die Ärzte zahlreicher und besser ausgebildet, aber die Sterberate war dennoch höher als hier. Um zu genesen, reichte es nicht, eine Eiterbeule aufgeschnitten zu bekommen oder einem Aderlass unterzogen zu werden; es brauchte das Gefühl, dass diejenigen, die den ganzen Tag um einen herum waren, die Aussicht zu überleben für groß genug hielten, dass sie sich um einen bemühten.
Der alte Mann, dessen Verlegung ins Spital Pater Silvicola bereits vor Wochen angeordnet hatte, passte hierher wie eine Spinne auf einen Kuchen. Aber tatsächlich war er der einzige Angeklagte von Rang, der überhaupt noch am Leben war, und Pater Silvicola nahm seine Aufgabe als Anwalt des Bösen ernst; hätte er den Mann im Gefängnis gelassen, wäre er vor Wochen gestorben. Der Alte war hager, die Haut hing ihm in einem runzligen Lappen vom Gesicht, und seine Seele war – wie einer von Pater Silvicolas Ordensbrüdern es ausgedrückt hatte, als sie einmal unter sich gewesen waren – so schwarz wie der Anus von des Teufels übelstem Spießgesellen.
»Was wollen Sie mit diesem Prozess erreichen, Pater?«, fragte der alte Mann mit seiner unangenehmen Stimme. »Die Seelen derer erlösen, die durch das Feuer gegangen sind? Wenn sie unschuldig waren, so wie Sie und Ihre schlauen Burschen glauben, dann sind sie längst im Himmel; und wenn sie schuldig waren, dann sind sie dort, wo sie hingehören. Aber ob unschuldig oder nicht – Sie können keinen von ihnen wieder lebendig machen. Was wollen Sie erreichen, Pater, indem Sie mir den Prozess machen? Ich bin nicht der Teufel. Wenn Sie den Teufel selbst auf der Anklagebank sitzen haben wollen, dann zitieren Sie ihn herbei und lassen Sie mich in Ruhe.«
Pater Silvicola sah, wie sich die Augen des alten Mannes zusammenzogen und dieser ihn auf einmal schärfer musterte. Ihm wurde bewusst, dass er sich soeben einen Fehler geleistet hatte – er hatte eine Reaktion auf die Anschuldigung gezeigt, er wolle am liebsten den Teufel selbst vor das Gericht zerren. Das durfte ihm nicht passieren! Er hätte sich ausruhen sollen, bevor er sich mit dem alten Mann befasste, zumal er nur zu gut wusste, dass in dem halbtoten Körper ein Geist steckte, der ständig auf der Jagd nach Schwächen bei seinen Mitmenschen war.
Über das Gesicht des Alten ging ein Lächeln, das in Pater Silvicola den bestürzenden Wunsch weckte, es mit einem Faustschlag daraus fortzuwischen.
»So einer sind Sie, Pater? Ich dachte, ihr Burschen von der Societas Jesu wärt so abgeklärt? Hmmm … was halten Sie davon, den Teufel direkt am Schwanz zu packen, anstatt ein armes Schwein wie mich dranzukriegen?«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Pater Silvicola beinahe gegen seinen Willen.
»Hier in Würzburg«, sagte der alte Mann, »hält sich jemand auf, der das Testament des Satans bewacht.«
Erst als sich aller Augen auf ihn richteten, merkte Pater Silvicola, dass er aufgesprungen war und gebrüllt hatte. Er setzte sich wieder und räusperte sich. Die Augen des alten Mannes ließen ihn nicht los.
»Was haben Sie gesagt?«, wiederholte Pater Silvicola mühsam beherrscht.
»Ich muss es etwas präzisieren: Er ist ein Angehöriger der Sippe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, dieses Teufelswerk zu schützen.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Ich weiß es eben. Ich bin nicht umsonst fast achtzig Jahre alt geworden.«
»Wer sind diese Leute?«
»Ich will nicht wieder zurück ins Gefängnis, Pater. Da komme ich nicht mehr lebend raus.«
»Wer-sind-diese-Leute?«
»Versprechen Sie mir, dass ich hierbleiben kann, Pater?«
»Ja«, sagte Pater Silvicola zwischen den Zähnen.
»Der Name ist Khlesl«, sagte der alte Mann. »Aber bevor Sie jetzt die Stadt danach absuchen – das hier sind die kleinen Fische. Wenn mich nicht alles täuscht, sind die, die Sie eigentlich suchen, erst noch unterwegs hierher.«
»Und ohne Zweifel wollen Sie ein neues Versprechen von mir, um mir deren Identität preiszugeben.«
»Natürlich. Sehen Sie, Pater, ich bin ein alter Sünder. Ich möchte meine Missetaten in Ruhe bereuen und meinen Frieden mit dem Herrn machen.«
»In Ruhe bereuen …?«
»Vorzugsweise in meinem Haus, in der warmen Stube, mit einem Becher Wein in der Hand und dem Geruch eines frischen Bratens in der Nase.«
»Sie sind sich Ihrer selbst ziemlich sicher für einen Mann, auf den der Galgen wartet.«
»Sie sind doch der Teufelsanwalt, Pater! Pauken Sie mich hier raus, und ich helfe Ihnen. Und wer weiß
Weitere Kostenlose Bücher