Die Erbin der Teufelsbibel Historischer Roman
achten. Er muss zu Kräften kommen. Geben Sie ihm, wonach immer es ihn verlangt.«
»Wonach immer es mich verlangt, Schwester«, sagte der alte Mann und grinste.
Das Gesicht der Klosterfrau verzog sich vor Abscheu. »Ich werde es weitergeben, Pater. Aber ich bin neu hier. Wie heißt der Mann?«
Der alte Mann leckte sich über die Lippen. »Sebastian Wilfing«, sagte er. »Merken Sie sich den Namen, Schwester.«
21.
Sechshundert Jahre lang war ihre Lage als natürliches Tor zu den Reichtümern Böhmens das Glück der ehemals freien Reichsstadt Eger gewesen. Dann war Wallenstein gekommen … und mit ihm der Krieg. Neutralitätserklärungen, die Zahlung eines Bußgelds von zehntausend Reichstalern für Verbrechen, die die Bürger der Stadt gar nicht begangen hatten – keine der diplomatischen Bemühungen des Rats hatte das Schicksal der Stadt abwenden können. Wallenstein hatte Eger schon im ersten Jahr nach der Schlacht am Weißen Berg besetzt und dem freien Leben darin den Garaus gemacht, indem er es zum Sammelplatz und Waffenarsenal des kaiserlichen Heers bestimmt hatte. Zwölf Jahre danach fand der Generalissimus in Eger den Tod, aufgespießt von einem seiner eigenen Offiziere, mit einer letzten Bitte um Quartier auf den Lippen, das nicht erhört wurde, weil wallensteinsche Soldaten noch nie darin geübt worden waren, Gnade imKampf zu erweisen (und weil die Bezahlung für Wallensteins Kopf zu verlockend gewesen war). Weitere sechs Jahre später war ein Drittel Egers zerstört, die Vorstädte lagen in Schutt und Asche, und die überlebenden hundert Bürger richteten ein Bittschreiben an Kaiser Ferdinand III., die Stadt von weiteren Gräueln zu verschonen.
Der Kaiser erwies sich als gnädig gestimmt und verschonte die Stadt, die ihm und seinen Vorgängern viele Generationen lang die Treue gehalten hatte, vor der völligen Zerstörung. Dass am Ende die Schweden anrücken würden, verhinderte er nicht …
»Und heute?«, sagte der Ordensmeister der Kreuzherren vom Roten Stein und schenkte sich aus dem Krug mit dem schweren Rotwein nach. »Was in sieben Jahren harter Arbeit aufgebaut worden ist, haben die Kanonen von General Wrangel wieder eingeebnet. Haben Sie sich die Stadt angesehen? An den meisten Stellen muss man nicht einmal auf die Stadtmauer steigen, um von einem Ende zum anderen blicken zu können: Ganze Schneisen sind flachgelegt. Selbst wenn noch zehntausend Arbeiter aus den umliegenden Dörfern hierherkämen, sie würden Eger doch nicht wieder auf bauen können. Die Stadt ist erledigt. Auf Ihr Wohl!«
Der Ordensmeister trank und rülpste. Cyprian und Andrej sahen sich an.
»Was glauben Sie, wohin sich die Leute wenden, wenn sie Arbeit brauchen?« Der Ordensmeister wedelte mit den Armen. »An die schwedische Garnison oben in der Burg! Ist das nicht ein Hohn? Die Schweden haben die Stadt geplündert, und jetzt bezahlen sie alle möglichen Dienstleistungen mit den Wertsachen, die sie zuvor gestohlen haben. Gott hat uns verlassen … jawohl, Gott hat uns verlassen. Auf Ihr Wohl! Und wissen Sie, was der größte Witz ist? Die schlauen Köpfe, die abgehauen sind, bevor Wrangel den Belagerungsring im Juli dichtmachte, streiten sich jetzt im Exil darüber, wie es mitEger weitergehen soll. Die Protestanten wollen den Status als Reichsstadt wiederherstellen, die Katholiken wollen die Stadt an das Königreich Böhmen anbinden. Die verhandeln um das Fell des Bären, obwohl der Bär längst in den Wald geschissen hat … nein, obwohl er noch nicht in den Wald geschissen hat! Auf Ihr Wohl.« Der Ordensmeister horchte nachdenklich seiner verunglückten Metapher hinterher und schien den Eindruck zu haben, dass sie immer noch nicht ganz stimmte. »Kann ich Ihnen noch was anbieten?«
Cyprian nahm den Weinkrug entgegen und kippte Andrej einen winzigen Schluck in dessen Becher. Danach kamen nur noch einzelne Tropfen. Er spähte in den Krug – leer. Sie waren noch keine Stunde hier, und dies war der vierte Seidel Wein. Er und Andrej hatten sich kaum daran beteiligt; der Wein befand sich fast ausnahmslos im Magen des Ordensmeisters.
»Vielen Dank für den Überblick«, sagte Andrej. »Uns ist klar, dass in einer Stadt, die unter schwedischer Herrschaft steht, niemand gern an Hexenverbrennungen erinnert wird.«
»Pah!« Andrej und Cyprian sahen sich einem weingeschwängerten Sprühregen aus Spucke ausgesetzt. »Die Verbrennung von Anna Morgin war ein Justizmord, wenn es je einen gegeben hat, und dass damals der
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