Die Erbin Der Welt erbin1
ansonsten unauffälligen Wand und wusste, dass ich eine gute Stelle gefunden hatte.
Die Sprache der Götter sollte nicht von Sterblichen benutzt werden, aber ich hatte die Seele einer Göttin. Für etwas muss- te das gut sein.
»Atadie«, flüsterte ich, und die Wand öffnete sich.
Ich ging durch zwei ungenutzte Räume, bevor ich Si'ehs Sonnensystemmodell fand. Als sich die Wand hinter mir wieder schloss, sah ich mich um und bemerkte, dass dieser Ort im Gegensatz zum letzten Mal geradezu leer wirkte. Einige Dutzend der bunten Sphären lagen verstreut auf dem Boden und bewegten sich nicht. Einige wiesen Risse auf, bei anderen fehlten Stücke. Nur eine Handvoll schwebte an ihren Plätzen, der gelbe Ball war nirgendwo zu sehen.
Hinter den Spähren lag Si'eh auf einer sanft geschwungenen Erhöhung aus Palastmaterial; Zhakkarn kauerte neben ihm. Si'eh war jünger als in der Arena, aber immer noch zu alt: Er hatte lange Beine, war schlaksig und wirkte wie ein Spätteenager. Zu meiner Überraschung hatte Zhakkarn ihr Kopftuch abgenommen, und ihr Haar lag in winzigen, plattgedrückten Locken an ihrem Kopf Es war meinem sehr ähnlich, nur ihres war blauweiß.
Beide starrten mich an. Ich hockte mich neben sie und stellte das Kästchen ab. »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich Si'eh.
Si'eh versuchte, sich aufzusetzen, aber an seinen Bewegungen sah ich, wie schwach er war. Ich wollte ihm helfen, aber Zhakkarn kam mir zuvor und stützte seinen Rücken mit einer großen Hand. »Erstaunlich, Yeine«, sagte Si'eh. »Du hast die Wände alleine geöffnet? Ich bin beeindruckt.«
»Kann ich dir helfen?«, fragte ich. »Irgendwie?«
»Spiel mit mir.«
»Spiel ...« Aber ich hielt inne, als ich Zhakkarns strengen Blick auffing. Ich dachte einen Moment nach, dann streckte ich meine Hände mit den Handflächen nach oben aus. »Leg deine Hände auf meine.«
Das tat er. Seine Hände waren größer als meine, und sie zitterten wie die eines alten Mannes. Es war so falsch. Aber er grinste. »Glaubst du, dass du schnell genug bist?«
Ich schlug nach seinen Händen und punktete. Er bewegte sich so langsam, dass ich währenddessen ein Gedicht hätte aufsagen können. »Offensichtlich schon.«
»Anfängerglück. Lass mal sehen, ob du das noch mal schaffst.«
Wieder schlug ich nach seinen Händen. Diesmal war er schneller, und ich hätte beinahe danebengeschlagen. »Ha! Also gut, aller guten Dinge sind drei.« Ich schlug noch einmal, und diesmal ging es ins Leere.
Überrascht sah ich auf zu ihm. Er grinste und war sichtlich jünger, wenn auch nicht viel. Ein Jahr vielleicht. »Siehst du? Ich sagte doch, du bist zu langsam.«
Ich verstand und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Hast du vielleicht Lust, Fangen zu spielen?«
Es war Mitternacht. Mein Körper wollte schlafen und nicht spielen, und das machte mich langsam. Dadurch hatte Si'eh einen Vorteil; erst recht, nachdem er sich genug erholt hatte und rennen konnte. Danach jagte er mich durch den ganzen Raum und amüsierte sich prächtig, da ich ihm nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Es tat ihm sichtlich gut, dass ich mitmachte, bis er schließlich von selbst anhielt und wir beide japsend zu Boden fielen. Endlich sah er wieder normal aus — ein dürrer neun- oder zehnjähriger Junge, hübsch und sorglos. Ich stellte den Grund für meine Liebe zu ihm nicht länger in Frage.
»Also, das hat Spaß gemacht«, sagte Si'eh schließlich. Er setzte sich auf, reckte sich und fing an, die toten Sphären zu sich zu rufen. Sie rollten über den Boden zu ihm hin, er hob sie auf, tätschelte sie liebevoll, hob sie hoch und schubste jede geschickt in eine Drehbewegung, bevor er sie losließ und sie davonschwebten. »Und was ist in dem Kästchen?«
Ich warf Zhakkarn, die sich an unserem Spiel nicht beteiligt hatte, einen Blick zu. Ich vermutete, dass Kinderspiele sich nicht besonders gut mit dem Wesen des Kampfes vertrugen. Sie nickte mir einmal zu und diesmal zustimmend. Ich errötete und sah weg.
»Briefe«, sagte ich und legte meine Hand auf das Kästchen meiner Mutter. »Sie sind ...« Ich zögerte, weil mir die Worte im Hals stecken blieben. »Die Briefe meines Vaters an meine Mutter und einige Entwürfe von ihm an sie, die er nicht abgeschickt hatte. Ich glaube ...« Ich schluckte. Meine Kehle war plötzlich eng, meine Augen brannten. In Trauer liegt keine Logik.
Si'eh ignorierte mich, schob meine Hand zur Seite und öffnete das Kästchen. Ich gewann meine Fassung wieder,
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