Die Erbin Der Welt erbin1
verdunkelten, leeren Raum. Fast keine Möbel. Ein alter Tisch. Ein schmutziges, halb zerrissenes Bündel Bettzeug in einer Ecke. Eine Murmel neben dem Bettzeug. Nein, keine Murmel; eine kleine, überwiegend blaue Kugel. Die mir zugewandte Seite besteht aus einem braun-weißen Mosaik. Ich weiß, wessen Zimmer das ist.
»Schhhh«, sagt eine neue Stimme, und plötzlich sind Leute im Zimmer. Eine zarte Gestalt liegt halb über den Schoß der anderen Gestalt drapiert, die größer ist. Und dunkler. »Schhh. Soll ich dir eine Geschichte erzählen?«
»Hmm«, sagt die kleinere. Ein Kind. »Ja. Noch mehr wunderschöne Lügen, Papa, bitte.«
»Na, na. Kinder sind nicht so zynisch. Sei ein wahres Kind, oder du wirst nie so groß und stark werden wie ich.«
»Ich werde nie wie du sein, Papa. Das ist eine deiner Lieblingslügen.«
Ich sehe zerzaustes, braunes Haar. Eine graziöse Hand mit langen Fingern streichelt es. Der Vater? »Ich habe dich diese ganze lange Zeit aufwachsen sehen. Und in zehntausend Jahren, einhunderttausend Jahren ...«
»Und wird mein sonnenheller Vater seine Arme ausbreiten, wenn ich so groß geworden bin, und mich an seiner Seite willkommen heißen?« Ein Seufzen.
»Wenn er einsam genug ist, vielleicht.«
»Ich will ihn nicht!« Ruckartig bewegt sich das Kind von der streichelnden Hand weg und schaut hoch. Seine Augen spiegeln das Licht so wie die einer Nachtkreatur. »Ich werde dich nie verraten, Papa. Nie!«
»Schhhh.« Der Vater beugt sich hinab und küsst das Kind sanft auf die Stirn. »Ich weiß.«
Und das Kind wirft sich nach vorne, verbirgt das Gesicht in weicher Dunkelheit und weint. Der Vater hält es fest, schaukelt sanft und fängt an, zu singen. In seiner Stimme höre ich jede Mutter, die jemals ein Kind in den frühen Morgenstunden getröstet hat, und jeden Vater, der jemals Hoffnungen in das Ohr seines Kindes geflüstert hat. Ich verstehe den Schmerz nicht, den ich wahrnehme und der die beiden wie Ketten umfängt, aber ich spüre deutlich, dass Liebe ihre Waffe dagegen ist.
Es ist ein privater Augenblick, und ich bin ein Eindringling. Ich spreize unsichtbare Finger und lasse diesen Traum hindurch- und fortgleiten.
Ich vermisste den fehlenden Schlaf schmerzlich, als ich mich spät am nächsten Tag mühsam aufraffte, wachzuwerden. Ich saß auf der Bettkante und hatte die Knie angezogen. Durch das Fenster sah ich einen hellen, klaren Mittagshimmel und dachte Ich werde sterben.
Ich werde STERBEN.
In sieben Tagen ... nein, sechs nur noch.
Sterben.
Ich schäme mich, zuzugeben, dass diese Litanei eine ganze Weile andauerte. Der Ernst meiner Lage war mir bisher noch nicht klar geworden; der bevorstehende Tod hatte hinter der Gefahr für Darr und einer himmlischen Verschwörung zurückstehen müssen. Aber jetzt hatte ich niemanden mehr, der an meiner Seele herumzerrte, um mich abzulenken, und alles, an das ich denken konnte, war der Tod. Ich war noch nicht einmal zwanzig Jahre alt. Ich hatte noch nie geliebt. Ich konnte noch nicht mit allen neun Formen des Messers umgehen. Ich hatte noch nie ... Götter. Ich hatte noch nie wirklich gelebt, jenseits des Vermächtnisses meiner Eltern: ennu und Arameri. Es schien nahezu unfassbar, dass ich ein Todeskandidat war — aber ich war es.
Denn selbst wenn die Arameri mich nicht töteten, machte ich mir keine Illusionen über die Enefadeh. Ich war die Scheide des Schwertes, das sie hofften, gegen Itempas zu ziehen, ihre einzige Möglichkeit, zu entkommen. Sollte die Nachfolgezeremonie verschoben werden oder ich wie durch ein Wunder erfolgreich De- kartas Erbe antreten, so war ich sicher, dass die Enefadeh mich einfach töten würden. Offensichtlich hatte ich keinen Schutz vor ihnen wie andere Arameri; zweifellos war das eine der Änderungen, die sie an meinem Siegel vorgenommen hatten. Mich zu töten wäre wahrscheinlich die leichteste Möglichkeit für sie, Ene- fas Seele so gut wie unbeschädigt zu entfernen. Si'eh würde die Notwendigkeit meines Todes betrauern, aber sonst würde das in Elysium niemand tun.
Also lag ich auf meinem Bett, zitterte, weinte und hätte das wohl auch für den Rest des Tages getan — ein Sechstel meines Lebens —, wenn es nicht an der Tür geklopft hätte.
Das holte mich mehr oder weniger wieder auf den Boden der Tatsachen. Ich trug immer noch die Kleidung vom Tag zuvor, in der ich geschlafen hatte, mein Haar war völlig durcheinander, mein Gesicht aufgedunsen und meine Augen rot. Gebadet hatte ich
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