Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
Zeitungen, Kopien von Parlamentsunterlagen, Nachrichten, Einladungen. Oliver hatte sich entschuldigt und an den Schreibtisch gesetzt, sodass Jane Muße hatte, sich ans Fenster zu stellen, hinauszuschauen und ihren Gedanken nachzuhängen.
Wenn es eines gab, was sie in den Monaten, seit sie Oliver getroffen hatte, gelernt hatte, dann dass man Probleme am besten bei den Hörnern packte. Jedes Mal, wenn sie den Kopf eingezogen hatte oder sich versteckt hatte, waren ihre Probleme nur größer geworden. Dies – diese wachsende Zuneigung zwischen ihnen, diese Liebesaffäre, die so unmöglich war – stellte ein Problem dar.
Sie wollte eine kühne Lösung.
Aber was sie stattdessen bekam …
Ihm zuzusehen, wie er die Papiere durchging, war, wie ihm dabei zuzusehen, wie er sich von ihr wegarbeitete. Mit jedem Brief, den er öffnete, jeder neuen Formulierung, die er las, schien er sich weiter von ihr zu entfernen. Jede Einladung, die er las, führte ihm klarer vor Augen, dass er zu einem Essen gebeten wurde, an dem Jane nie teilnehmen könnte, weil sie einfach nicht dazu passte.
Spatzen, hatte er gesagt, nicht Phönixe. Sie hatte ihm einmal gesagt, dass sie in Flammen stand, aber Frauen, die Männer wie Oliver heirateten, hätten sich nicht einmal getraut, ein Zündholz zu nehmen und ein Feuer zu machen.
Sie konnte es tun. Es konnte einfach das Problem unter Geld begraben – Etikette-Lehrer anstellen, die sie Tag und Nacht bearbeiteten, bis sie aufhörte, Fehler zu machen. Eine Frau suchen, die nur dafür verantwortlich war, für eine uninteressante, triste, aber perfekte Garderobe zu sorgen. Sie hatte genug Geld, um all ihre Federn zu stutzen und beige zu färben. Mit hinreichend Aufwand konnte sie sich so verändern, dass sie zu den anderen passte.
Aber wenn sie an so ein Dasein dachte, das aus lauter Lügen bestand, erschauerte sie. Einmal war genug.
Sie schüttelte den Kopf und wandte sich wieder zum Fenster um und der Frage zu, wie sie eine kühne Lösung für ein stilles Problem finden konnte.
Kapitel 27
„W ER SIND S IE ?“
Anjan war in das schwach beleuchtete Arbeitszimmer auf der Rückseite des Hauses geführt worden. Es dauerte einen Moment, bis seine Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten und er den Mann klar erkennen konnte, der Titus Fairfield sein musste. Er war ein rundlicher kahlköpfiger Mann und empfing Anjan mit ernster Miene.
Anjan hatte ihn schon zuvor gesehen. Vor Jahren hatte ein anderer indischer Student – einer, der in dem Jahr seinen Abschluss gemacht hatte, als Anjan nach Cambridge gekommen war – ihn ihm gezeigt und erwähnt, dass er Privattutor sei. Allerdings keiner, den er nehmen konnte, denn es sei unwahrscheinlich, dass er indische Schüler akzeptieren würde. Wenn er gewusst hätte, dass das Emilys Onkel war …
Vermutlich hätte er sie nicht zu Spaziergängen eingeladen. Also nur gut, dass er es nicht gewusst hatte.
Er trug gedeckte Farben und hatte sich darum bemüht, durch und durch respektabel auszusehen. Sein Kragen war so steif gestärkt, dass er die Kragenspitzen an seiner Wange spüren konnte, wenn er den Kopf wandte. Er reichte ihm seine Karte.
„Ich bin Mr. Anjan Bhattacharya“, sagte er, „und ich bin in einer wichtigen Angelegenheit hier.“
Fairfield legte Anjans Karte auf seinen Schreibtisch, ohne sie weiter anzusehen. „Nun“, sagte er in verbindlichem Tonfall, „in diesem Jahr nehme ich keine Schüler an.“ Er hatte einen verschlagenen Ausdruck in den Augen, als würde Anjan irgendwie nicht erkennen, dass er abgewiesen wurde.
„Das ist in Ordnung. Ich brauche keinen Tutor. Ich habe bereits im März das Juraexamen abgelegt“, unterrichtete er den Mann. „Aber ich kenne Ihren letzten Schüler John Plateford. Sie haben ihn gut vorbereitet.“
Mr. Fairfield hatte nicht mit Schmeichelei gerechnet. Er blinzelte verwirrt und war nicht zu der Grobheit imstande, die Klingel zu läuten und Anjan hinausbegleiten zu lassen. Daher setzte sich Anjan auf die andere Seite des Schreibtischs. Einen Moment lang starrte Fairfield ihn einfach nur an, war sich unsicher, was die guten Sitten in einer solchen Situation vorschrieben. Sein Stolz gewann nach ein paar Augenblicken die Oberhand.
„Ja, Plateford“, sagte er erfreut. „Er hat die höchste Auszeichnung bekommen.“
„Ihr Verdienst“, erwiderte Anjan höflich. „Und ich habe sie ebenfalls erhalten.“
Fairfield blinzelte einmal mehr und schüttelte den Kopf, als müsse er die
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