Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
das?“
Darauf konnte er nichts erwidern.
„Sag mir, Oliver, wie lange, denkst du, werde ich brauchen, um zu lernen, den Mund zu halten? Leise zu sprechen? Mich so zu kleiden wie alle anderen?“
„Ich … Jane …“
„Wenn du einen Spatz willst, dann heirate einen. Aber bitte nicht mich.“
Er schloss die Augen. „Ich weiß. Ich weiß. Es ist schrecklich, dich darum zu bitten. Aber …“ Er machte eine Pause, versuchte, sich neu zu sortieren. Zu erklären. „Ich habe meine Karriere darauf aufgebaut, den Mund zu halten. Jemand mit meinem Hintergrund muss besonders vorsichtig sein. Mein Bruder kann sich für so viel aussprechen, wie er will. Ich jedoch muss vorsichtig sein. Um sicherzugehen, dass die Leute an einen vernünftigen Mann denken, wenn sie an mich denken, an jemanden, der ist wie sie. Jemanden, der …“
„Jemanden, der keine schreckliche Frau hat“, beendete Jane den Satz für ihn. Ihre Stimme war belegt.
„Ja“, flüsterte er. Und dann, als er es in ihren Augen aufblitzen sah, schüttelte er den Kopf. „Nein, das habe ich nicht gemeint. Es ist nur, was alle anderen denken würden.“
Sie stand auf. „Das ist nur gut so, weil ich …“ Sie brach ab, biss sich auf die Lippe und schüttelte den Kopf. „Nein, achte nicht auf mich. Du hast gerade erst erfahren, dass deine Tante verstorben ist. Ich muss dir nicht noch mehr aufbürden.“
„Sag es“, verlangte er ungeduldig, „und erspare mir dein Mitleid.“
Sie reckte ihr Kinn noch ein wenig. „Es ist nur gut, dass du keine schreckliche Ehefrau willst“, teilte sie ihm mit, „weil ich mir einen Ehemann mit ein wenig Mut erhofft hatte.“
Oh, das tat weh. Er entschied sich nicht zwischen akzeptiert werden und Jane, zwischen einem Ballsaal voller fröhlicher Freundschaft und dieser dunklen Straße allein mit Jane. Er entschied sich zwischen einer dunklen, einsamen Straße mit ihr und einer ohne sie.
„Du bist nicht in Eton auf der Schule gewesen“, sagte er ihr. „Du warst nicht zum Studium in Cambridge. Du hast nicht Jahre damit verbracht, dich langsam zu einer Person zu wandeln, die hineinpasst und so etwas erreichen kann. Sag mir nicht, dass man dafür keinen Mut braucht. Sag das nicht.“ Seine Stimme wurde mit jedem Wort lauter. „Sag mir nicht, dass es nicht Mut war, der mich immer wieder zurückgebracht hat, nach jedem Versuch, mich auszustoßen. Wie ich zu sein, das erfordert Mut, verdammt noch mal.“
Sie sah ihn an. Es sah aus, als blickte sie durch ihn hindurch. „Wirklich, Oliver?“ Sie hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt. „Es war Mut nötig, um sich von Clemons abzuwenden und wegzugehen, die anderen Jungen tun zu lassen, was sie ihm angetan haben? Es war Mut erforderlich, Bradentons Angebot in Erwägung zu ziehen, mich bloßzustellen? Ganz ehrlich, Mut ist auch nicht mehr das, was es mal war.“
Diese Worte fühlten sich wie Speere an, die sich in seine Eingeweide bohrten. Das Schlimmste jedoch war, dass er sehen konnte, wie ihre Hände zitterten. Ihre Augen, voller Schmerz. So heftig sie auch austeilte, er hatte sie ebenso verletzt. Und er konnte nicht einmal sagen, dass er es nicht so gemeint hatte.
„Das dachte ich mir“, sagte sie und wandte sich ab. „Ich werde jemanden schicken, um meine Sachen abzuholen.“ Sie marschierte an ihm vorbei.
Er wollte die Hand ausstrecken, sie bitten, nicht zu gehen. Sie am Arm festhalten, als sie an ihm vorbeiging. Irgendetwas tun.
Aber das tat er nicht. Sie ging hinaus, und er hielt sie nicht auf. Er ließ diesen Moment verstreichen – den letzten Augenblick, der ihm blieb, um sich zu entschuldigen und alles zu retten –, und er war sich nicht sicher, ob es Mut oder Feigheit war.
F REDDYS B EISETZUNG WAR eine stille Feier. Es gab nicht viele Leute, die Olivers Tante gekannt hatten – nur der Bursche, der ihr Lebensmittel lieferte, ein paar Damen, die sie besucht hatten, und ihre Familie.
Olivers Schwestern waren nach London gekommen – Laura mit ihren Ehemann und Olivers jüngster Nichte, einem Kleinkind, das während der ganzen Feier wimmerte, und Patricia mit ihrem Ehemann und den Zwillingen. Free war auch da. Sie stand eine ganze Weile am Sarg ihrer Tante, schaute darauf, sagte aber kein Wort. Sie fuhr mit der Hand über den Rand und weinte lautlos.
Es fühlte sich so falsch an, seine Tante in der Kirche aufzubahren. Sie hätte es gehasst, so offen an einem fremden Ort zu liegen. Sie hätte es gehasst, dass aller Augen auf ihr ruhten – selbst
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