Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
hatte mit ihr die Hochzeit geplant. Sie hatte so viel gelächelt, dass es sich anfühlte, als würden ihre Lippen von der Anstrengung springen.
Es tat weh.
Aber unter dem Schmerz lag kühle Klarheit: Sie war froh, dass sie ihn kennengelernt hatte, dass sie sich von dem Menschen gelöst hatte, der sie gewesen war. Von der Maske, die mehr über sie bestimmt hatte als andersherum. Sie würde nie wieder eine andere Rolle spielen und ganz bestimmt nicht, weil ein Mann, der behauptete, sie zu lieben, sie darum bat.
Er hatte sie verletzt, aber sie würde das wie all die anderen Verletzungen behandeln, die man ihr zugefügt hatte: Es würde sie nur stärker machen.
Jane stand am Beginn von etwas Besseren. Und sie wusste genau, wie sie es anfangen würde, nämlich mit Freundschaft.
Jane legte die Liste beiseite und nahm sich ein weiteres Blatt Papier.
Liebe Genevieve und liebe Geraldine , schrieb sie. Das letzte Mal, das wir uns geschrieben haben, wart ihr in London und ich in Nottingham. Die Umstände haben sich geändert, und jetzt bin ich in der Stadt. Ich hoffe, wir könnten unsere Freundschaft erneuern …
Kapitel 29
O LIVER WAR NOCH LEICHT benommen, als er schließlich nach Clermont House zurückkehrte. Er nahm die Beileidsbekundungen seines Bruders entgegen und zog sich auf sein Zimmer zurück.
Vor vielen Monaten hatte sich Oliver ein Buch gekauft. Damals hatte er vorgehabt, es sich später anzusehen, aber dann war immer etwas dazwischen gekommen. Es war ganz unten in seinen Sachen gelandet. Als er aus Cambridge zurückkam, war es auf ein niedriges Regalbrett geraten. Er suchte die Buchreihen ab, entzifferte verstaubte Buchrücken, bis er das fand, was er suchte.
Mrs. Larriger verlässt ihr Zuhause.
Die Seiten waren noch steif, der Ledereinband noch ohne Knicke. Er spürte einen Kloß in der Kehle, als er die erste Seite aufschlug. Dies waren Freddys Worte, Freddys Gedanken. Er hatte es gekauft, ohne das zu wissen. Er hatte sie im Grunde genommen kaum gekannt. Er strich die Seiten glatt und begann zu lesen.
Die ersten achtundfünfzig Jahre ihres Lebens verlebte Mrs. Laura Larriger in Portsmouth in Sichtweite des Hafens. Sie fragte sich niemals, wo die Schiffe eigentlich hinfuhren, und interessierte sich nur dann für ihre Heimkehr, wenn eines davon zufällig ihren Ehemann von einer seiner Handelsfahrten nach Hause brachte. Es gab nie einen Grund, sich dafür zu interessieren .
Oliver schluckte, fragte sich, was seine Tante wohl von ihrem Fenster aus gesehen hatte. Wovon sie geträumt hatte, was sie sich gewünscht hatte.
An diesem Tag saß Mrs. Larriger in ihrem Salon. Aber irgendwie kamen ihr die Wände dicker vor. Die Luft wirkte drückender. Beinahe sechzig Jahre lang hatte sie nicht die leiseste Neugier auf die Welt vor ihrer Tür verspürt. Jetzt hingegen schien die Luft jenseits ihrer Mauern sie zu rufen. Geh weg von hier , wisperte sie. Geh weg.
Das war etwas, was Freddy verstanden hätte. Kein Wunder, dass diese Passage so echt gewirkt hatte.
Sie holte tief Luft. Sie packte eine Reisetasche. Und dann stellte Mrs. Larriger mit größter Anstrengung, mit der Anstrengung einer Frau, die alles hinter sich ließ, was sie kannte, einen Fuß vor die Tür in den warmen Maisonnenschein.
Oliver schloss die Augen und dachte an seine Tante. Er dachte daran, wie sie eine Zehenspitze vor die Tür hielt und Herzrasen bekam. Er erinnerte sich, wie sie ihm erzählt hatte, dass sie es versuchte, dass sie es eines Tages schaffen würde. Dass sie zum Park gehen würde und einen Spaziergang unternehmen …
Er hoffte, dass es ihr gelungen war, nach draußen zu gehen, bevor sie gestorben war. Aber es war nicht mehr so einfach. Was Freddy nicht auf die eine Weise hatte tun können, hatte sie auf andere vollbracht. Irgendwie war die missbilligendste, sauertöpfischste und dauernd Vorträge haltende alte Jungfer, die er kannte …
Irgendwie hatte sie tausende Menschen von Abenteuern träumen lassen. Sie hatte mehr erreicht, als ihr irgendjemand je zugetraut hätte. Die Frau, die Oliver noch in ihrem Testament gute Ratschläge mit auf den Weg gegeben und ihn davor gewarnt hatte, sich zu verkühlen, hatte sich als mutiger herausgestellt, als alle geahnt hatten.
Er erinnerte sich noch gut an das letzte Mal, als er sie gesehen hatte. „Deine Mutter war immer ein Kohlegreifer“, hatte sie gesagt. „Aber du, du bist wie ich.“ Er hatte das lachend abgetan. Seine Tante verließ nie das Haus, während er selbst ein
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