Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
„Emily, deine Schwester …“
Emily tätschelte ihm die Hand. „Wie soll ich sie dazu ermutigen, das Richtige zu tun, wenn ich nie mit ihr sprechen darf?“
Titus seufzte. „Nun gut. Du kannst noch eine kleine Weile mit deiner Schwester sprechen. Aber Emily, … rede ihr zu zu heiraten. Es wäre das Beste für uns alle.“
Er wollte Jane aus seinem Leben haben. Daran war sie zum Teil selbst schuld, das musste Jane einräumen. Und ihre Entscheidungen. Es war keine Überraschung, dass er sie für einen schlechten Einfluss auf ihre Schwester hielt. Aber sie konnte nichts tun, um seine Meinung zu ändern. Ihr Onkel wusste, dass sie nicht wirklich das Kind ihres Vaters war, und das machte alles an ihr unverzeihlich. Sie konnte ihr Herz bei dem Versuch riskieren, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, doch das musste sie für Emily bewahren.
„Das werde ich, Onkel“, versprach Emily.
„Du bist eine Inspiration für uns alle, meine Liebe“, sagte Titus und verließ mit einem weiteren traurigen Lächeln das Zimmer.
Emily wartete, bis seine Schritte auf dem Korridor verklungen waren, ehe sie die Hände zu Fäusten ballte. „Ich hasse ihn“, erklärte sie, stand auf und drehte sich zu ihrem Bett. „Ich hasse ihn, ich hasse ihn, ich hasse ihn.“ Bei jedem Satz schlug sie mit der Faust auf ihr Kissen. „Ich hasse sein besorgtes Gesicht, seine großen, sorgenvoll blickenden Augen. Ich hasse ihn.“
Jane ging zu ihrer Schwester und legte den Arm um sie. „Ich weiß.“
„Wenigstens kommst du in Gesellschaft“, sagte Emily. „Ich bin neunzehn, und um Himmels willen, er lässt mich nirgendwohin – aus Angst, ich könnte ein … Geschehnis erleiden, wenn ich das tue. Glaubt er allen Ernstes, dass es besser für mich ist, wenn ich hier in meinem Zimmer sitze wie eine Prinzessin aus dem Märchen mit keinem anderen Lesestoff als moralinsauren Philosophiewälzern und juristischen Abhandlungen?“
Jane hatte schon vor Langem aufgehört, herausfinden zu wollen, was Titus in Wahrheit glaubte. Er wollte das Richtige tun. Ein Arzt hatte ihm einmal gesagt, dass die Anfälle ihrer Schwester durch Anstrengung und Aufregung ausgelöst würden, daher hatte Titus Emilys Leben auf öde Untätigkeit reduziert. Der Umstand, dass Emily so oft in ihr Zimmer eingesperrt war, bedeutete, dass er ihre Anfälle seltener miterlebte. Daher konnte ihn nichts davon überzeugen, dass seine Anordnung nicht die gewünschte Wirkung zeigte.
Das Letzte, was Titus Fairfield wollte, war, Vormund von zwei jungen Mädchen zu werden. Besonders wenn die eine noch nicht einmal blutsverwandt mit ihm war und die andere unter unerklärlichen Anfällen litt.
Jane seufzte und zog ihre Schwester zu sich. „Noch fünfzehn Monate“, sagte sie. „Dann wirst du einundzwanzig und bist ihn los. Wir können hier weg und von meinem Geld leben, und ich verspreche dir, du wirst jeden Roman lesen dürfen, den du willst. Du darfst auch zu jeder Tanzveranstaltung gehen. Niemand wird dich daran hindern. Niemand wird es wagen.“
Emily seufzte. „Ich möchte so gerne wissen, wie Mrs. Larriger wieder aus Viktorialand wegkommt.“
Jane erwog kurz, ihre Schwester noch ein wenig auf die Folter zu spannen. Aber heute Nacht war genug Schlimmes geschehen. Daher ging sie zu ihrem Umhang zurück und holte einen zweiten schmalen Band hervor. „Da er sie doch immer wieder findet, hab ich dir gleich zwei besorgt.“
Emily machte einen leisen Laut in ihrer Kehle und griff nach dem Buch. „Ich liebe dich.“ Sie öffnete es, fuhr mit dem Finger fast zärtlich über das reichverzierte Schmuckblatt. „Ich wüsste nicht, was ich ohne dich täte.“
Jane wusste das auch nicht. Es war schließlich nicht so, dass Emily einen Vormund brauchte – ganz im Gegenteil. Sie brauchte das genaue Gegenteil eines Vormunds, jemanden, der verhinderte, dass Titus sich zu sehr in ihr Leben einmischte. Sie brauchte jemanden, der den nicht enden wollenden Strom von Ärzten aufhielt. Sie brauchte jemanden, der ihr die Möglichkeit gab, ihre unerträglich aufgestaute Energie abzubauen. Jemanden, der ihr etwas zu tun gab, selbst wenn das nur war, ihr Groschenromane ins Zimmer zu schmuggeln, damit sie sie lesen konnte.
„Titus würde das nicht billigen“, sagte Jane. „Du sollst mich doch dazu ermutigen, mir einen Ehemann zu suchen.“
Emily schloss die Augen. „Niemals“, sagte sie. „Verlass mich bitte nie, Jane.“
Das war der Dreh- und Angelpunkt des Problems. Jane war das Produkt der
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