Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
„Da haben Sie es. Sie könnten mich hintergehen, aber bislang sind Sie mein Lieblingsverräter.“
Er machte ein Geräusch. „Sie sollten verärgert sein, Miss Fairfield. Sie sollten mich wegstoßen.“
„Mr. Marshall, haben Sie es nicht erkannt? Ich bin zu verzweifelt, um verärgert zu sein.“
In der Nacht hörte es sich geradeheraus und schrecklich an. Aber es klang nicht bemitleidenswert, fast so, als machte es sie weniger verwundbar, die Wahrheit auszusprechen.
„Vielleicht“, fuhr sie fort, „könnte ich mir Verärgerung oder Wut leisten, wenn ich ein paar echte Freunde hätte. Aber so wie die Sache steht, ist alles, was Sie mir gestanden haben, dass jemand von Ihnen verlangt hat, mir gegenüber grausam zu sein, und dass Sie in Erwägung gezogen haben, es zu tun. Von den meisten Leuten muss niemand verlangen, dass sie mir gegenüber grausam sind, das sind sie von ganz allein.“
„Verdammt, Miss Fairfield, hören Sie zu, was ich Ihnen sage. Ich will es nicht tun. Ich will nicht der Verlockung ausgesetzt sein. Ich will kein Mann sein, der einer Frau für seinen persönlichen Vorteil wehtut. Geben Sie mir eine Ohrfeige, dann haben wir es hinter uns.“
Jane zuckte die Achseln. „Nehmen Sie Ihre Verlockung, Mr. Marshall, und werden Sie damit glücklich. Ich erwarte rein gar nichts von Ihnen, aber wenigstens für den Moment kann ich mir einreden, ich hätte einen Freund. Dass es diesen einen Menschen neben meiner Schwester gibt, dem es nicht egal ist, ob ich am Morgen aufwache. Wenn Sie niemals ohne so jemanden leben mussten, können Sie sich nicht vorstellen, wie es ist, keinen Freund zu haben.“ Sie schaute mit großen Augen zu ihm auf. „Und wenn er dann auch noch ein Mann wie Sie ist …“
Ihre Wangen wurden rot, als sie merkte, wie sich das anhören musste.
„Oh“, sagte sie. „Nicht, dass ich erwartete … Nicht, dass ich denken würde … Das heißt, Sie haben ja schließlich schon gesagt, ich sei die letzte Frau, die Sie heiraten würden. Und ich habe ja auch gar nicht vor, überhaupt je zu heiraten …“ Sie hatte die Kontrolle über ihren Mund verloren. Sie hielt ihn sich mit den Händen zu und weigerte sich, ihn anzusehen. „Oh Gott“, stieß sie hervor.
Er erwiderte darauf einen Moment lang gar nichts, und sie begann sich zu fragen, ob es ihr letztlich doch gelungen war, ihn zu verschrecken.
„Oh Gott“, wiederholte sie und kniff die Augen zu. „Warum muss ich das immer machen?“
„Was machen?“
„Reden. Ich rede so viel. Ich rede, als hinge mein Leben von nichts anderem ab, als mit Worten die Leere zu füllen. Ich rede und rede und rede und kann einfach nicht aufhören. Nicht einmal, wenn ich mir sage, ich müsste jetzt den Mund halten.“ Sie stieß ein kleines schluchzendes Lachen aus. „Ich tue das die ganze Zeit – mir sagen, dass ich den Mund halten muss –, aber im Allgemeinen rede ich zu viel, um auf meine innere Stimme zu hören.“
Sie blickte ihn an. Er betrachtete sie mit einem verhangenen, unergründlichen Ausdruck in den Augen.
„Sagen Sie es“, bat sie. „‚Halt den Mund, Jane . ‘ Sehen Sie, es ist gar nicht schwer.“
„Sprechen Sie weiter, Jane“, antwortete er leise.
„Hören Sie auf. Hören Sie auf, mir nach dem Mund zu reden.“
„Wenn Sie mich nicht fortstoßen, warum sollte ich da tun, was sie von mir verlangen? Sie sind klug und präzise. Und da ich nicht die ganze Zeit reden will, stört es mich nicht im Geringsten, Ihnen zuzuhören.“
„Was?“
„Ich denke, dass man Ihnen so oft gesagt hat, sie sollten still sein, dass Sie begonnen haben, es sich selbst zu sagen.“
„Oh?“ Sie schluckte. „Sie denken …?“
„Sie sagen Dinge, die anderen Leuten vielleicht unangenehm sind. Natürlich wollen die, dass Sie den Mund halten.“
„Aber Sie finden es nicht unangenehm?“
Er lächelte. Und dann streckte er seine Hand aus und berührte mit dem Daumen ihre Lippen. Es war eine beiläufig intime Berührung – als sei es sein gutes Recht, ihr die Lippen zu streicheln. Jane stockte der Atem. Sie verspürte plötzlich den schrecklichen Drang, seinen Daumen in den Mund zu nehmen.
Sie atmete lieber aus.
„Sie sorgen dafür, dass ich mich unbehaglich fühle“, murmelte er. „Aber vermutlich nicht so, wie Sie meinen.“
„Das liegt daran, dass Sie ein umwerfend attraktiver Mann sind“, gestand sie. Dann hörte sie, was sie da eben gesagt hatte und wurde rot. „Oh Gott. Nicht, dass ich Sie attraktiv fände …“
Das
Weitere Kostenlose Bücher