Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
Aussehen. Ich würde Ihnen nie einen Vorwurf daraus machen.“ Sie nickte ihm zu, so würdevoll wie eine Königin, als erwiese sie ihm eine große Gnade. Dann zog sie die Brauen zusammen. „Es tut mir leid, aber könnten Sie Ihren Namen wiederholen?“
Oliver machte eine steife Verbeugung. „Oliver Marshall, zu Ihren Diensten.“ Aber nehmen Sie das bloß nicht wörtlich , hätte er fast angefügt.
Ihre Augen weiteten sich. „Oliver. Wurden Sie vielleicht am Ende nach Oliver Cromwell benannt?“
Das war eindeutig kein aufrichtiges Lächeln, zu dem er seine Lippen verzog. „Nein, Miss Fairfield, ganz sicher nicht.“
„Sie wurden also nicht nach dem früheren Lordprotektor Englands benannt? Nun, ich hätte gedacht, Ihre Eltern hätten geglaubt, er könnte Ihnen als Beispiel dienen. Schließlich hat er auch wie Sie als einfacher Mann angefangen, nicht wahr?“
„Der Name hat keine besonders großartige Bedeutung“, gelang es ihm zu erwidern. „Der Vater meiner Mutter hieß Oliver.“
„Oh, aber vielleicht wurde er …“
„Nein“, unterbrach Oliver sie. „Ich kann Ihnen versichern, niemand aus meiner Familie hegt den Wunsch nach meiner posthumen Hinrichtung.“
Er hatte fast den Eindruck, als lächelte sie darüber, aber das Zucken ihrer Mundwinkel verschwand so rasch wieder, dass er sich nicht sicher sein konnte. Die Unterhaltung war ins Stocken geraten.
Eins, zwei, drei …
Als Junge war Oliver zwischen zwei Welten gewechselt – der der Oberschicht, die so eisig höflich war, und der ungezwungenen Welt der arbeitenden Bevölkerung, zu der seine Eltern gehörten. Es gab eine frostige Stille, die Oliver immer mit diesen peinlichen Momenten in der guten Gesellschaft in Verbindung brachte. Es waren diese Augenblicke, in denen jeder Mann unter Berücksichtigung guter Manieren eine kurze Berechnung anstellte und dann beschloss, seine Gedanken für sich zu behalten, statt sie laut auszusprechen und eine Unhöflichkeit zu riskieren. Als Junge war ihm dieses Schweigen nur allzu zu oft begegnet, wenn er erwähnt hatte, dass sein Vater einmal Faustkämpfer gewesen war … Eigentlich war in diesen ersten Jahren, bis er die Regeln begriffen hatte, immer Schweigen die Antwort gewesen, wann immer er den Mund öffnete.
Denn auch wenn es vermeintlich aus Höflichkeit entstand, konnte dieses Schweigen verletzen. Oliver war oft genug Außenseiter gewesen, um zu wissen, wie tief. Er blickte zu Miss Fairfield.
… vier, fünf, sechs …
Ihre Lippen waren glatt, ihr Lächeln offen und ehrlich. Es gab keinen noch so kleinen Hinweis darauf, dass sie die Anspannung bemerkt hatte.
„Wer wird heute Abend erwartet?“, erkundigte sie sich. „Cradford? Wilton?“
„Nein, nicht …“ Hapford schaute sich um. „Nein, Wilton nicht, er ist … unpässlich.“
„Ist das eine von diesen … wie nennt man das noch einmal, wenn man etwas sagt, um die Wahrheit zu umgehen?“ Miss Fairfield schüttelte den Kopf, und ihre Diamantohrringe schaukelten. „Das Wort liegt mir auf der Zunge … Ich kann es spüren. Es ist ein … ein …“ Sie hob das Kinn, und ihre Augen strahlten hell. „Euphemismus!“ Sie schnippte mit den Fingern. „Das war ein Euphemismus, nicht wahr? Sagen Sie, hat er wegen letzter Nacht einen Kater?“
Die Männer wechselten einen Blick. „Genau“, sagte Hapford langsam. „Miss Fairfield, wenn Sie meinen Arm nehmen wollen …“ Er führte sie fort.
„Armer Kerl“, bemerkte Whitting. „Er hat Witze über sie gemacht, bis Miss Johnston dem ein Ende bereitet hat. Seit er so vernarrt in seine Verlobte ist, ist er gar nicht mehr amüsant.“
Oliver billigte es gewöhnlich nicht, sich hinter dem Rücken anderer Leute über sie lustig zu machen. Es war feige und grausam, und er wusste aus persönlicher Erfahrung, dass es nie so unbemerkt blieb, wie die Spötter glaubten.
Die arme Miss Fairfield. Sie war das Gegenteil von einer angenehmen Gesprächspartnerin, und sie hatte das Gegenteil von Geschmack. Sie würden sie in der Luft zerreißen, und Oliver würde zusehen müssen.
Kapitel 2
D AS D INNER ERWIES sich als noch qualvoller, als Oliver es sich ausgemalt hatte.
Miss Fairfield sprach zu laut, und was sie sagte …
Sie fragte Whitting nach seinen Studien, und als er darauf trocken erwiderte, er ziehe es vor, seine Bemühungen auf das Studium von Flüssigkeiten zu konzentrieren, starrte sie ihn an.
„Wie erstaunlich.“ Ihre Augen wurden ganz rund. „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie
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