Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
Physikvorlesungen intellektuell gewachsen sind.“
Whitting blickte sie entsetzt an. „Haben Sie gerade …“ Dem Mann bereitete es sichtlich Schwierigkeiten, seine Verwunderung zu bezwingen. Ein Gentleman würde niemals eine Dame fragen, ob sie ihn soeben der Dummheit bezichtigt hatte. Whitting holte mehrmals tief Luft und setzte erneut zu einer Antwort für Miss Fairfield an. „In der Tat. Ich habe nicht die Persönlichkeit, mich an dem Studium der Physik zu erfreuen. Was meine intellektuellen Fähigkeiten angeht …“ Er zuckte die Achseln und schenkte ihr ein erzwungenes Lächeln. „Ich muss Sie falsch verstanden haben.“
Im Wörterbuch des englischen Gentlemans – dessen Sprache vor Euphemismen und falscher Höflichkeiten strotzte – war diese Bemerkung eine der schärferen Spitzen. „Ich muss Sie falsch verstanden haben“ hieß gewöhnlich so viel wie: „Seien Sie still!“ Oliver legte seine gespreizten Finger aneinander und versuchte überall anders hinzusehen, nur nicht zu den beiden.
Miss Fairfield schien nicht im Geringsten bekümmert. „Sie haben mich nicht verstanden?“, erkundigte sie sich in besorgtem Tonfall. „Das tut mir leid. Mir hätte klar sein müssen, dass die Satzkonstruktion für Ihre Fähigkeiten zu komplex ist.“ Sie beugte sich zu ihm und sprach erneut, hob dieses Mal aber die Stimme und zog die Worte in die Länge, als redete sie mit einem alternden Großvater. „Was ich meinte, war, dass ich nicht gedacht hätte, dass Sie sonderlich intelligent sind. Und das würde das Studium der Physik doch erheblich erschweren.“
Whitting wurde rot. „Aber … das ist …“
„Vielleicht irre ich mich ja“, erklärte sie fröhlich. „Gefällt Ihnen das Studium der Physik?“
„Nun, nein, aber …“
Sie tätschelte ihm tröstend den Arm. „Kein Grund zur Sorge“, beruhigte sie ihn. „Nicht jeder ist dazu geboren. Sie machen jegliche Mängel in Bezug auf Intellekt durch Ihre Freundlichkeit wieder wett.“
Whitting lehnte sich zurück, sein Mund öffnete und schloss sich hilflos.
Von jeder anderen Frau wäre das eine unverzeihliche Beleidigung gewesen. Wenn Miss Fairfield die leiseste Neigung verraten hätte, dass sie absichtlich grässlich war, würde man sie ächten. So, wie sich die Lage jedoch darstellte, wie sie Whitting die Hand tätschelte und ihn wegen seiner Dummheit tröstete, schien er ihr tatsächlich leid zu tun.
Sie hatte Hapford gefragt, ob er plane, Sprechunterricht zu nehmen, und als er das verneint hatte, sich beeilt, ihm zu versichern, dass niemand, auf den es ankam, ihm seine leise Stimme zum Vorwurf machen würde.
„Zitronensaft“, sagte sie quer über den Tisch zu Oliver, „würde wunderbar gegen Ihre Sommersprossen helfen. Haben Sie je daran gedacht, es damit zu versuchen?“
„Wissen Sie was? Meine Tante sagt das Gleiche“, gab er zurück. „Ich muss es erst noch ausprobieren.“
„Oh, natürlich.“ Sie wirkte betroffen. „Wie gedankenlos von mir! Ich nehme an, es ist schwierig, genug Zitronen zu bekommen, vor allem, für jemanden in Ihrer Lage.“
Oliver fragte nicht, in welcher Lage er sich Ihrer Ansicht nach befand.
Danach machte sie dem Marquis of Bradenton Komplimente zum Schnitt seines Rockes, versicherte ihm, dass seine unseligerweise runden Schultern darin kaum noch auffielen.
Als er als Antwort stotterte und sich abwandte, legte sie ihre Serviette hin.
„Das muss Ihnen nicht peinlich sein“, sagte sie. „Es ist nichts dabei, wenn man den Gesprächsfluss abreißen lässt. Nicht jeder ist so klug, dass ihm immer sofort eine Erwiderung einfällt.“
Bradentons Lippen wurden schmal.
„Und Sie sind schließlich ein Marquis“, fügte sie hinzu. „Vielleicht weist Ihre Auffassungsgabe Schwächen auf, aber das wird niemandem auffallen, solange Sie nur immer darauf achten, sich gleich zu Beginn als Marquis vorzustellen.“
Bradentons Nasenflügel weiteten sich, aber sie wandte sich bereits wieder Oliver zu.
„Mr. Cromwell“, sagte sie, „bitte erzählen Sie mir, wie Sie Ihre Tage verbringen. Sie sind … Buchhalter, wenn ich das recht verstanden habe.“
Die Wahrheit war wesentlich komplizierter. Außerdem egal, was er als Antwort gab, eine Frau, die ihn mit dem längst verstorbenen Oliver Cromwell verwechselte, würde sich vermutlich nicht für Details interessieren. „Ich habe in Oxford Jura studiert“, erwiderte er schließlich. „Aber ich muss nicht in einer Kanzlei arbeiten, daher …“
„Oh, dann sind
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