Die Erbin und ihr geliebter Verraeter
wichtig ihm Emily war, bis sie aufhörte zu kommen. Am ersten Tag, an dem sie nicht zu ihrem verabredeten Treffpunkt kam, folgte er dem Bach, an dem sie normalerweise spazieren gingen. Er lief auf der anderen Seite zurück, auch wenn dort kein Weg war, nur Wiese mit knöchelhohem Wintergras.
Vielleicht hatte sie nicht wegkommen können.
Er ging weiter, wartete. Nachdem eine halbe Stunde verstrichen war, kehrte er nach Hause zurück.
Am zweiten Tag wartete er zur gewohnten Zeit. Er wartete und wartete und wartete, bis ihm die Füße vom vielen Stehen wehtaten. Er wartete, bis die Sonne unterging und den Horizont küsste, bis sogar seine tiefe Quelle der Hoffnung zu versiegen begann.
Am dritten Tag wartete eine Dienerin auf ihn. Sie schaute Anjan mit finster zusammengezogenen Brauen an. „Sind Sie … äh, … Mr. … äh …“
„Ja“, antwortete er, weil er auf Mr. Äh beinahe so oft reagierte wie auf seinen richtigen Namen.
„Das hier ist für Sie“, sagte sie und hielt ihm ein rechteckiges Stück Papier hin. Er brach das Siegel und faltete das Blatt auf.
Lieber Anjan , hatte Emily geschrieben. Mein Onkel hat alles entdeckt. Ich habe es zweimal versucht, aber ich kann das Haus nicht unbemerkt verlassen, um dich zu treffen. Es kann sein, dass es mir dennoch eines Tages gelingen wird, aber ich kann dich kaum bitten, am Ende wochenlang auf Grundlage einer so schwachen Hoffnung zu warten.
Die Welt, entschied Anjan, war in höchstem Maße ungerecht.
Ich habe alles erwogen, was du mir erzählt hast, als wir uns das letzte Mal gesehen haben. Die Geschichte, die du mir erzählt hast, hat mir gefallen, aber ich bin noch nicht sicher, was ich diesbezüglich tun will.
Emily
Er faltete das Blatt wieder sorgfältig zusammen. Sie dachte darüber nach. Er konnte sich denken, was das hieß. Das Jura-Examen würde in ein paar Monaten abgenommen werden, und danach würde er Cambridge verlassen. Er brauchte räumliche Nähe, nicht Nachdenken.
Wenn er ein anderer wäre, würde er zum Haus ihre Onkels gehen und verlangen, sie zu sehen.
Er vermutete jedoch, wenn er das versuchte, würde er erschossen. Oder in den Kerker geworfen und irgendeines schrecklichen Verbrechens bezichtigt. Niemand würde ihm glauben, wenn er sagte, er habe nur mit ihr sprechen wollen.
Sie war der Lichtblick seines Tages gewesen. Und nun …
Er machte sich auf den Rückweg in die Stadt.
Er merkte, dass er begann, zornig zu werden. Nicht auf sie, sondern auf das Schicksal, das ihm etwas so Verlockendes vor die Nase hielt, nur um es ihm dann, gerade, als es innerhalb seiner Reichweite zu sein schien, zu entreißen. Das Schicksal war grausam.
Er trat mit düsteren Gedanken durch die Tore seines Colleges.
Inzwischen hatten sich die meisten seiner Kommilitonen daran gewöhnt, ihn zu sehen. Wenn sie Bemerkungen machen wollten, dann taten sie das selten in seiner Nähe. Er ging über den Rasen und betrachtete finster den Boden.
„Hallo Batty!“, rief ein Mann.
Anjan wäre fast nicht stehen geblieben. Er machte drei Schritte.
„Batty, wo willst du hin?“
Ach ja. Er war Batty. Er blieb stehen. Ehe er sich umdrehte, gelang es ihm, ein Lächeln aufzusetzen. Selbst jetzt konnte er es mit so wenig Mühe aufsetzen. Es wäre nicht recht, einen anderen finster anzustarren, der nur freundlich sein wollte. Und George Lirington gehörte zu den Netten. Er war einer von denen, die sich mit Anjan unterhielten, die ihn als Erste eingeladen hatten, mit ihnen Kricket zu spielen. Er hatte sogar seinen Vater dazu gebracht, Anjan dabei zu helfen, eine Stelle zu finden.
„Batty“, sagte Lirington, „wo warst du nur heute? Wir haben einen Werfer gebraucht. Ohne dich sind wir verzweifelt.“
„Lirington“, erwiderte Anjan so freundlich, wie er konnte. „Du siehst aus, als seist du gerade vom Kricketfeld gekommen. Musstest du dann der Werfer sein?“
„Ja, und das ist der Grund, warum wir verloren haben.“
Sein Freund lächelte und begann das Spiel in allen Einzelheiten zu beschreiben, wobei er die wichtigen Stellen sogar vorspielte. Anjan war Batty, weil Bhattacharya zu viele Silben hatte. Er hatte einem Mann seinen Vornamen verraten. Der Kerl hatte ihn verständnislos angeschaut und ihn dann prompt John getauft. Das, glaubten sie, war er: John Batty. Diese wohlmeinenden englischen Jungs hatten ihm seinen Namen so einfach und mit solch jovialer Freundschaft genommen, wie ihre Väter sich sein Land genommen hatten.
Emily nannte ihn Bhattacharya. Er
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