Die Erbin
sie unterstrichen und schamhaft verbargen, mehr Aufmerksamkeit als mit völliger Nacktheit zu erregen wußten: Anreiz für Fantasie und Begehren. In der Ferne der Zuckerhut, das Wahrzeichen der Stadt. Dann der Felsen mit dem Riesenchristus, der mit ausgebreiteten Armen die schöne, von Glut durchpulste Häuserwildnis segnete. Ein Leben ohne Zeit in Meer und Sonne.
Sie hatten, abseits vom allgemeinen Trubel, ihr Strandzelt aufgebaut und lagen in ihren Liegestühlen im Schatten der runden Strohschirme. Niemand kannte sie hier: zwei junge Menschen, ein schlanker, mittelgroßer, blonder Mann und eine etwas pummelige, schwarzhaarige Frau, die in ihrem Bikini aussah, als habe sie den Speck der Backfischjahre noch nicht ganz abgestreift. Wenn sie sich in die Wellen warfen, liefen sie Hand in Hand, wie Kinder, die Angst vor ihrem eigenen Mut bekommen. Ab und zu lagen sie sich in den Armen, küßten sich, während die Wellen über sie hereinbrachen und sie überschütteten, oder sie badeten an verschiedenen Stellen und rannten dann mit ausgebreiteten Armen aufeinander zu, als hätten sie sich nach langer Trennung wiederentdeckt. Dann machte sie einen Sprung, hing an seinem Körper, er fing sie auf, umklammerte sie, schwankte ein wenig unter ihrem Gewicht und trug sie, immer wieder ihr Gesicht oder ihren Brustansatz küssend, zurück zum Strandzelt.
Eine selige, eine traumhafte Woche des Glücks.
Nachts bummelten sie durch die lauten Lokale, durch Diskotheken und Bars, tanzten Wange an Wange, eng umschlungen in der Masse der anderen Tänzer, und aßen in brasilianischen Lokalen die Spezialitäten des Landes. Mr. und Mrs. Stan Harding, so hatten sie sich im Hotel eingetragen. Keiner kümmerte sich um sie. Wer kannte hier Lyda Penopoulos oder gar Boris Jegorowitsch Lobow? Auch wenn ihr Bild in den Zeitungen gewesen wäre – hier in Rio, im immerwährenden Karneval des Lebens von Copacabana, starrte niemand dem anderen ins Gesicht. Hier war man nur Mensch, weiter nichts. Ein Mensch, der nichts anderes will als glücklich sein.
Lobow war zufrieden. Die Welt hatte bisher nichts von der russisch-griechischen Verbindung gemerkt, die in absehbarer Zeit die westliche Wirtschaft erschüttern würde und gegen die es dann kein Mittel mehr gab. Das Direktorium schwieg die ersten Kontakte mit den Sowjets tot, zumal die Chefin selbst, weitsichtig genug, das russische Abenteuer abgeblasen hatte. Danach verlor die ›Sowjet-Export- und Handelsmission‹ in Paris an Interesse. Kostas Portales sah keinen Grund, sich über sie noch viel Gedanken zu machen.
Der erste Teil des Planes war damit abgeschlossen und konnte abgehakt werden: Lobow hatte das Herz der Erbin gewonnen. Der letzte Akt des Dramas, das bereits 1959 begonnen hatte, als die Primadonna Irena Palvietti das bisher glückliche Familienleben der Penopoulos' sprengte und dem Titanen Stavros bewies, daß er die berühmtesten Frauen der Welt für sich erobern konnte, weil er Penopoulos hieß, ließ sich jetzt in aller Ruhe vorbereiten.
Wer würde jemals ahnen, daß die Puppenspieler in Moskau saßen? Wer konnte wissen, daß jeder tragische Schicksalsschlag in diesem Drama am Schreibtisch von Oberst Pujatkin bis in alle Details vorbereitet worden war? Das große Ziel: eine der größten privaten Handelsflotten auch ›privat‹ in die Hand zu bekommen, zum Nutzen Rußlands und zur gefährlichen Schwächung des Westens.
Am vorletzten Tag in Rio war es, das Paar lag wieder, geschützt durch die Strohschirme, am Strand, als Lobow eine Kassette in den eingebauten Rekorder seines Radios legte und auf den Startknopf drückte. Lyda lag neben ihm, hatte die Augen geschlossen und genoß den warmen Wind, der vom Meer über ihren fast nackten Körper glitt. Sie fühlte Boris' Hand auf ihrem Bauch, lächelte und umklammerte seine tastenden Finger.
Musik klang auf. Rauschend, wild, entfesselt und doch von wundervollem Wohlklang. Dann erhob sich eine metallene, mächtige, alles beherrschende Stimme, die den Lautsprecher zu sprengen drohte: ein Sopran, der den Hörer ansprang wie ein Raubtier.
Die große Arie der ›Norma‹ von Bellini.
Lyda erstarrte. Nach den ersten Tönen fuhr sie hoch, blickte wie im plötzlichen Irrsinn um sich, dann hieb sie mit der Faust auf den Apparat, packte ihn und schleuderte ihn von sich. Irgendwo zwischen Steinen knallte er auf, aber er zerbrach nicht, das Band lief weiter, und von ganz weit her hörte man noch immer die glitzernde, alles durchdringende
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