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Die Erbin

Die Erbin

Titel: Die Erbin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Palvietti war, würde sie zu einem Vertrauten sagen: »Das kleine Biest hat mich vernichtet! Sie hat es geschafft. Damals hat sie mich mit einem Satz tödlich getroffen.«
    Das Abendessen im Salon verlief bedrückend still. Lyda beobachtete Irena Palvietti und verfolgte jeden Bissen, den sie zu sich nahm. Stavros versuchte fröhlich zu sein, erzählte von seinen ›Kampfjahren‹ in New York und flocht Anekdoten ein, über die er am meisten lachte. Es kam keine Stimmung auf.
    »Ich bin müde«, sagte Lyda nach dem Essen. »Ich geh' ins Bett.«
    Aber sie ging nicht ins Bett, sie legte sich auf die Lauer. Stavros' Kabine war neben der ihren, und als sie nach zwei Stunden hörte, wie er leise die Tür schloß, öffnete sie ihre Kabinentür und spähte in den Flur. Sie sah ihren Vater, wie er lautlos nach hinten schlich, zu den Gästekabinen, wo auch Irena Palvietti schlief. Es war ein merkwürdiger Anblick, den Papa so auf Zehenspitzen gehen zu sehen. Es tat weh, denn Lyda war alt genug, um zu wissen, wohin er schlich.
    Sie wartete eine Weile, bis Stavros bei Mrs. Palvietti in der Kabine sein mußte, dann rannte sie auf nackten Füßen den Gang hinunter und legte ihr Ohr an die Tür. Die Stimmen waren gedämpft, aber sie konnte sie gut verstehen.
    »Sie hat mich beleidigt!« schrie die Palvietti. »Und du stehst dabei und läßt es zu! Ich hätte ihr eine heruntergehauen!«
    »Ich habe meine Kinder nie geschlagen!« sagte Stavros ernst. »Nie!«
    »Das hat ihnen gefehlt! Man sieht es! Oh, ich werde mit ihr nie warm werden! Wir werden uns nie verstehen! Nie! Ihr Blick ist Haß! Ich kenne das! Auch ich kann hassen! Wie lange bleibt sie auf der Jacht?! Wochenlang? Das halte ich nicht aus! Bring sie zurück nach Athen oder setze sie in Monte Carlo ab, so lange ertrage ich sie noch! Aber keinen Augenblick länger! Wenn sie in Monte Carlo nicht von Bord geht, gehe ich! Was ist dir lieber!? Ich lasse mich doch nicht von einem Kind terrorisieren! Oh, mein Kopf! Ich könnte schreien, so weh tut er! Habe ich das nötig, Stavros?! Sie muß so schnell wie möglich vom Schiff!«
    Lyda hielt den Atem an. Es trat für einen Augenblick Stille ein, wahrscheinlich küßte Papa die Palvietti. Dann hörte Lyda ihn ruhig sagen: »Gut. Ich schicke sie in Monte Carlo zu Freunden. Es wird schon alles gutgehen, Irena. Ihr habt noch viel Zeit, euch aneinander zu gewöhnen. Ihr seid zwei ausgewachsene Persönlichkeiten, ja, auch Lyda; mit ihren neun Jahren hat sie schon einen so ausgeprägten Willen wie ich. Das ist mein Stolz. Warten wir's ab.«
    Mit wehem Herzen schlich Lyda in den Salon. Mit angezogenen Knien hockte sie sich auf einen Sessel und starrte vor sich hin. Da sah sie einen Stapel Platten neben dem Grammophon liegen. Schwarze, runde, zerbrechliche Schellackscheiben mit der wunderbaren Stimme der Palvietti.
    Mit einem Satz war sie aus dem Sessel, stürzte zu den Platten, packte sie mit beiden Händen. »Kaputt sollst du sein!« sagte sie und weinte plötzlich. Eine heiße Welle durchbrauste sie. »Kaputt! Kaputt! Wie du Mama kaputt machst! Und Papa! Uns alle machst du kaputt!«
    Sie schleuderte die Platten auf den Boden, zerstampfte sie mit ihren nackten Füßen und merkte nicht, wie die Schellacksplitter, Messern gleich, in ihre Füße schnitten. Und während sie sich immer neue Schnittwunden zuzog, schrie sie mit kindlicher, zerbrochener Stimme: »Kaputt sollst du sein! Kaputt! Ganz kaputt …« Dann tappte sie in ihre Kabine zurück, eine Blutspur hinter sich nachziehend, setzte sich in die Badewanne, ließ kaltes Wasser laufen und kühlte ihre blutenden Füße, ohne einen einzigen Schmerzenslaut von sich zu geben.
    Stavros Penopoulos war so klug, am nächsten Tag nichts von dem Vorfall zu erwähnen. Auch Lyda sprach nicht darüber. Sie trug trotz der Hitze Strümpfe, die alle Pflaster an ihren Füßen verdeckten. Sie hatte sich alleine versorgt, ohne Hilfe eines Stewards oder des Dieners von Stavros, auch ohne Mademoiselle Georgette, die als Gouvernante an Bord gekommen war und Lyda drei Stunden am Tag Sprachunterricht erteilte: Französisch und Italienisch an zwei Tagen, Griechisch und Englisch an zwei Tagen und Spanisch am fünften Tag.
    »Es muß sein, mein Engelchen«, hatte Stavros gesagt, als Lyda sich beschwerte, weil ihre Freundinnen nur zwei, höchstens drei Sprachen lernten. »Mit einem Partner in seiner Sprache sprechen zu können, ist schon der halbe Vertrag. Das wirst du später einsehen. Du bist kein ›Mädchen um

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