Die Erbin
leise, mit einer geradezu hinterhältigen Zärtlichkeit. »Es ist doch so lange her.«
»Es ist immer in mir. Alles ist in mir, alles, was ich erlebt habe. Ich brenne es in mich hinein. Ich tätowiere meine Seele damit. Es geht nie wieder weg.«
Als sie Irena Palvietti zum erstenmal sah, trug sie ein bodenlanges seidenes Kleidchen mit viel Rüschen. Es war am späten Nachmittag auf der Jacht. Papa hatte sie in Athen abgeholt. Die Sängerin war unten in ihrer Kabine geblieben und ruhte sich aus.
»Die See ist ziemlich rauh«, sagte Stavros und umarmte Lyda als ein zärtlicher Vater. »Irena Palvietti verträgt das Seefahren noch nicht so gut. Freust du dich?«
»Worauf?« fragte sie. Stavros zog das Kinn an und rückte die große Sonnenbrille näher an seine Augen.
»Sie ist eine ganz große Berühmtheit, mein Sternchen.«
»Sie kann singen! Das kann ich auch!«
»Natürlich.« Stavros lachte. Wenn er lachte, sah er wieder aus wie ein armer griechischer Fischer. Sein Gesicht verzog sich dann in lauter Falten. »Die ganze Welt kennt sie.«
»Dich kennt man auch!«
»Sie wird dir gefallen.«
»Warum soll sie mir gefallen?«
»Sie ist unser Gast.«
»Stimmt das, was Mama sagt?«
»Was sagt Mama zu dir?« Stavros lehnte sich an die Reling. Auf seiner Stirn erschien eine steile Falte.
»Die Sängerin will meine neue Mama werden.«
»Blödsinn! Wie kann Mama solch einen Unsinn erzählen?«
»Sie hat dabei geweint …«
»Mama weint schnell, das weißt du.« Stavros versuchte ein müdes Lächeln. »Irena Palvietti ist eine liebe Frau. Du wirst es sehen. Ich bin froh, daß sie hier ist.«
»Warum bist du froh?«
Stavros wußte auf diese Frage keine Antwort, die man einem neunjährigen Mädchen zumuten konnte. Er stieß sich von der Reling ab, schellte nach einem Steward und bestellte ein großes Glas Orangensaft für Lyda. Er war sehr nervös, schimpfte mit dem Kapitän und wurde erst ruhiger, als sie Athen nicht mehr sahen und das blaue Meer durchpflügten.
Dann endlich kam sie, die große Irena Palvietti. Sie stieg die Treppe zum Salon hinauf, in einem weitausgeschnittenen roten Strandkleid aus Frottee, die langen schwarzen Haare zu einem Schwanz zusammengebunden. Das sollte sie jugendlicher machen, wie auch die große Sonnenbrille und die Halskette aus goldenen Margeritenblüten, die auch an ihren Ohren glitzerten. Eine Kreation von Junière in Paris, sündhaft teuer. Aber was wußte die kleine Lyda von Junière? Dior kannte sie besser, der hatte ihre Puppen angezogen mit Modellkleidern, die ihr oft nicht einmal gefielen. Die Puppen der armen Kinder mit ihren einfachen Fähnchen waren viel interessanter.
Stavros kam auf Irena zu, küßte sie auf die Wangen und legte den Arm um sie. Lyda saß unbeweglich auf einem Deckstuhl unter dem Sonnendach der Jacht und sah der fremden Frau mit zusammengekniffenen Augen entgegen. Papa hat sie geküßt, dachte sie. Einfach geküßt! Darf er das denn? Nur Mama darf er küssen, das weiß ich. Und er umarmt sie sogar, während sie gehen und zu mir kommen. Sie lehnt sich in seinen Arm, als könne sie nicht allein gehen und müsse gleich umfallen. Ist sie krank?
»Das ist Lyda!« sagte Stavros stolz, als sie vor dem Kind standen.
Irena Palvietti verzog den breiten Mund zu einem Lächeln. »Ganz wie auf den Bildern! Guten Tag, Lyda.«
»Guten Tag!« Lyda blieb sitzen und übersah die Hand, die sich ihr entgegenstreckte. Eine lange, krallenartige Hand, die gar nicht zu dem wohlproportionierten Körper paßte. »Du bist die Sängerin?«
»Ja.« Die Palvietti schien etwas verwirrt. Stavros lächelte schief. »Du hast mich schon gehört?«
»Nein! Mama hat mir von dir erzählt. Du siehst aber ganz anders aus. Du bist viel, viel dicker.«
Die Palvietti zuckte zusammen, aber sie behielt Haltung. Stavros wurde rot und klingelte wieder nach dem Steward. »Champagner!« brüllte er, als der griechische Diener erschien. »Ich habe befohlen, daß immer Champagner in der Nähe ist! Sauerei!«
Was im Inneren der Palvietti in diesen Minuten vorging, wußte nur sie allein. Sie saß hinter dem weißen Tisch, schlürfte ihren Champagner und blickte über das leicht bewegte, von der Abendsonne wie vergoldete Meer. Erst viel später, als sie gertenschlank geworden war, als sie sich über sechzig Pfund buchstäblich abgehungert hatte und von einem Nervenzusammenbruch zum andern stolperte, als sie ihre Stimme durch das Hungern verloren hatte und nur noch der Schatten der großen
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