Die Erbin
die Ecke‹, du bist die Tochter von Penopoulos!«
Auch Lyda sprach nicht von diesem Abend. Sie freute sich, daß sie einen kleinen Sieg errungen hatte: Irena Palvietti frühstückte an diesem Morgen nicht mit ihnen auf dem Sonnendeck. Stavros schien bester Laune zu sein. Er teilte seiner Tochter mit, daß man jetzt eine ganze Zeit auf dem Wasser bleiben werde. »Wir fahren nach Venedig, mein Liebling!« sagte er und biß in sein morgendliches Honigbrötchen. »Dort kommen neue Gäste an Bord. Berühmte Gäste.«
»So?« antwortete Lydia lustlos. »Wer denn?«
»Winston Churchill mit Frau. Er will an Bord malen!«
»Wo alles so wackelt?«
»Das stört ihn nicht.« Stavros lachte dröhnend. In solchen Augenblicken war er wieder der griechische Fischer, der bei seinem Ouzo sitzt und über sein Fischerlatein lachen kann, daß die Wände dröhnen. »Zwei Prinzen werden kommen, der Herzog und die Herzogin Lockworth, die Varellis, du weißt, die vom Autokonzern. Lauter nette Leute. Und wichtige Leute …«
»Und sie?« fragte Lyda. Sie stocherte in ihrem Kakao herum.
»Wer ist ›sie‹?«
»Die Sängerin!«
»Sie fliegt morgen zurück nach Rom. Sie muß singen.«
»Das ist gut.«
»Aber in Venedig kommt sie wieder mit den anderen an Bord. Ihr Mann ist auch dabei.«
»Sie ist verheiratet?«
»Natürlich!« Stavros trank seinen kalt gewordenen Tee. »Ein reicher Mann. Besitzt Kiesgruben und Steinbrüche, Bausteinfabriken und Sägewerke.«
»Dann braucht sie also gar nicht dein Geld?!«
Bei dieser Frage brach Stavros Penopoulos die Unterhaltung mit seiner Tochter ab. Er stand auf und wischte sich mit der Serviette über den Mund. Lyda sah ihn von unten her an, ebenso trotzig wie er, ganz seine Tochter.
»Was machst du jetzt?« fragte er.
»Ich weiß nicht. In der Sonne liegen. Lesen, Radio hören. Es ist alles gleich langweilig.«
»Willst du wieder zurück nach New York?«
»Nein.«
»Nach London?«
»Nein.«
»Was willst du denn?«
»Ich wünschte, Mama wäre hier.«
Stavros biß die Lippen zusammen, sah seine Tochter böse an und ging unter Deck.
Eine Stunde später telefonierte Lyda mit New York. Die Verständigung über Funktelefon war gut, nur ab und zu von Rauschen oder Knattern unterbrochen. Atmosphärische Störungen. Genia saß in ihrer Wohnung, in ihrem prunkvollen Bett und rieb sich die Augen. In New York war es jetzt drei Uhr morgens. »Du hast mich geweckt, Engelchen«, sagte sie müde. »Was hast du denn?«
»O Mama, ich habe ganz vergessen, daß bei dir die Zeit anders ist. Ich wollte dich nur hören.« Lyda schloß die Augen. Sie sah ihre Mutter im Bett sitzen, in einem langen, weiten, mit Spitzen besetzten, von Dior entworfenen Nachthemd aus Voile, einem Nachthemd voller Blüten, denn Mama liebte alle Blumen.
»Wo bist du jetzt?« fragte Genia Penopoulos.
»Vor Athen. Wir kreuzen zwischen den Inseln.«
»Was macht Papa?«
»Er arbeitet, wie immer.«
»Und was machst du sonst, Kleines?«
»Nichts. Es ist langweilig ohne dich, Mama.«
»Du bist ganz allein?«
»Nein. Sie ist an Bord …«
»Sie …« Genias Stimme wurde leiser. »Seit wann?«
»Ich weiß es nicht. Sie war schon da, als ich kam. Ich habe all ihre Platten zerbrochen!«
»Damit änderst du nichts, Engelchen. Sei brav! Gute Nacht, mein Kleines.«
Lyda preßte den Hörer fest an ihr Ohr. Da war ein anderer Laut, kein Knacken oder Rauschen. Da schwang über Tausende von Kilometern ein unterdrücktes Schluchzen mit. Genia weinte.
»Gute Nacht, Mama«, sagte Lyda. Ihre Lippen zuckten. »Sei nicht traurig, Mama …«
Sie legte auf und starrte gegen die Kabinenwand. Die Figuren an der Wand, fantasievolle Allegorien eines berühmten Malers, glotzten sie an. Ich hasse sie, dachte Lyda böse. Ich möchte sie vernichten. Aber wie? Wie? Mama weint! Ob man die Sängerin töten kann?!
Sie saß am Fenster, starrte auf die vorbeirauschenden Wellen und malte sich aus, wie es wäre, wenn sie die Palvietti über Bord stoßen, sie in diesen schäumenden Wogen ertränken würde. Das Weinen der Mutter ging ihr nicht mehr aus dem Ohr – und mitansehen, mitanhören zu müssen, wie ihr Vater nachts heimlich zu seiner Geliebten schlich, das tat weh, ganz innen in der Brust furchtbar weh. Es nahm ihr den Atem.
Um zehn Uhr kam die Gouvernante mit dem Französischbuch. Lyda saß noch immer am Fenster. Sei mein Freund, Meer, dachte sie. Laß sie ertrinken! Schick eine hohe Welle her und reiß sie über die Reling, wenn sie im
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