Die Erbin
trank und seine politischen Entscheidungen in der Badewanne traf, war schon Legende geworden.
Wie alt er ist, dachte Lyda und beobachtete ihn vom Niedergang zum Salon her. Wenn er den dicken Kopf an die Brust zieht, könnte man denken, er schliefe hinter seiner Sonnenbrille. Aber dann rutscht sie ihm tiefer auf die Nase, und man sieht seine hellen, wachen Augen. Außerdem kommt Rauch aus seinem Mund, das beweist, daß er auch atmet. Seine Hände sind mit braunen Flecken besät. Wie riesige Sommersprossen sehen sie aus.
Ob man mit dem alten Mann spielen kann?
»Komm her!« sagte Churchill zu Lyda und winkte ihr. »Ich höre, du lernst fleißig Englisch?«
»Yes and no«, antwortete Lyda. »Ich bin sehr faul.«
»Das ist gut!« Churchill lachte laut. Sein dicker Körper wackelte. »Du bist ehrlich! Das gefällt mir.« Dann rief er: »Stavros!«
Penopoulos mußte eine Begrüßung unterbrechen. Der Prinz von Laquière war an Bord gekommen. Ein Mann, der die Kunst, ohne Geld wie ein Millionär zu leben, bis zur Perfektion beherrschte. Seine Schlösser waren längst verpfändet, aber er besaß ja noch seinen Namen! Mit ihm schmückte er alle wichtigen Partys des Jet-set oder des Adels. Er lebte von Einladungen und war auf Monate voll ausgebucht. Wo der Prinz von Laquière auftauchte, gab es Stimmung. Er strotzte von Charme, vermittelte jeder Dame das Gefühl, sie sei die Schönste des Abends, und sang zu vorgerückter Stunde deutsche Holzhackerlieder, was unbestritten der Höhepunkt war.
»Hier bin ich, Sir!« sagte Stavros. Er warf einen fragenden Blick auf Lyda. »Was hat sie wieder angestellt?«
»Ihre Tochter ist köstlich.«
»So kann man es, bei größtem Wohlwollen, nennen …«
»Sie ist ehrlich! So etwas erlebe ich selten in meiner Umgebung. Solange ich Politiker war, konnte ich auch nicht ehrlich sein! Sind Sie ehrlich, Stavros?«
»Sir, ich …«
»Sie stottern! Das ist Antwort genug!« Churchill lachte wieder. »Das Mädchen wird es einmal schwer haben, wenn es so ehrlich bleibt! Die Grundtugenden des Menschen – dazu gehört die Ehrlichkeit – zerstören den Menschen! Kein Moralist will das einsehen.«
Jetzt geht es los, dachte Stavros. Jetzt philosophiert er wieder stundenlang.
Am Kai hielt ein großer schwarzer Wagen. Ein Rolls-Royce mit römischer Autonummer. Irena Palvietti und ihr Mann Giuseppe waren eingetroffen!
»Ich muß zu den Gästen, Sir«, sagte Stavros. »Sie entschuldigen mich …«
Er warf Lyda noch einen mahnenden Blick zu und eilte zum Fallreep. Winston Churchill drückte die heruntergerutschte Brille näher an die Nasenwurzel und faltete die Hände über dem Bauch. Lady Churchill war unter Deck und überwachte das Auspacken der Koffer. Vor allem die fertigen Bilder mußten mit äußerster Schonung behandelt werden. Churchill hatte in Venedig sehr fleißig gemalt.
»Man hat immer über mich gesagt und noch mehr geschrieben, ich sei ein fleißiger Mann gewesen«, Sagte Churchill. Lyda war nahe an ihn herangetreten und lehnte sich an den Korbsessel. Sie betrachtete den runden Kopf mit dem faltigen Doppelkinn und den schmalen Lippen, die ab und zu die dicke Zigarre aufnahmen und daran saugten. »Das ist alles falsch! Ich war immer faul. Aber keiner glaubt mir das. Man muß nur eins können: Im richtigen Augenblick dasein und alles tun, was von einem erwartet wird. Verstehst du das?«
»Ja. Ich bin da.«
»Und was erwartet man von dir?«
»Ich will Papa und Mama retten …«
»Was willst du?« Churchill beugte sich zu dem Kind vor. »Was heißt das?«
»Mama weint. Sie ist unglücklich. Und Papa sagt: Es wird bald alles anders werden. Ich weiß, wie es werden soll. Er will mit der Sängerin leben! Aber ich will das nicht. Ich liebe Mama und Papa. Sie sollen zusammenbleiben!«
»Das ist ein Problem, da hast du recht.« Churchill drehte den Kopf zur Seite. Über das Fallreep kamen Irena Palvietti und ihr Mann Giuseppe an Bord. Signore Palvietti war dreißig Jahre älter als Irena, aber er überspielte das mit jugendlicher Garderobe, flotter Lebensführung, elastischem Gang und dem Bewußtsein, aus einer unbekannten, dicken Sängerin, die nur mit Mühe ein Engagement fand, den größten Star der internationalen Opernbühne gemacht zu haben: Irena Palvietti, die Primadonna assoluta.
Stavros begrüßte sie mit einem langen Handkuß. Ihm war es egal, ob das entgegen aller Etikette war. Auf die Lippen konnte er sie ja jetzt nicht küssen. Giuseppe Palvietti, stolz, Gast bei
Weitere Kostenlose Bücher