Die Erbin
driftet man weg … Kurve vorbei … Gas geben … leichter Bogen, kann man fast voll ausfahren … dann Kurve 4, sehr spitz, abbremsen, den Wagen fast schleudern lassen, abfangen und mit Vollgas aus dem Winkel raus …
Wie wird Lyda sich verhalten, wenn sie erfährt, was ihr Vater mir angetragen hat? Sie wird toben, sicherlich … aber wie wird es auf die Dauer sein? Die Frau eines Auto-Vertreters. Ein kleines Haus mit einem Gärtchen … Kann ein Mädchen wie Lyda überhaupt bürgerlich leben und eine Frau wie Millionen andere Frauen werden? Wird sie nicht den Jet-set vermissen?! Die Essen im Maxim's? Die Bälle in Monte Carlo? Die Partys in New York? Die Jacht, die ihre eigentliche Heimat ist? Die Insel Sapharin? Die Kleider von Dior und Laurent? Den Schmuck von Tiffany und Cartier?
Achtung! Die verdammte Kehre! Gas weg … weich hineingehen … ja, die Reifen heulen auf, jetzt werden sie glühend heiß, der Motor stottert etwas … wieso stottert er? Nur das nicht! Bearns, das kommt auf dein Konto! Nein … er stottert nicht … er röhrt wie immer … Die eleganten S-Kurven, weit gebaut … man kann sie durchfahren, als tanze man mit dem Wagen … und jetzt wieder die Gerade … Gas, Junge, Gas … Laß den Tourenzähler jubeln …
Kann sein, daß ich Lyda unglücklich mache … Sie wird es nie zugeben, nein, aber ich werde es lesen, in ihren Augen, aus ihrem Wesen; eine versteckte Traurigkeit. Heimweh wird sie haben nach dem Vater, nach dem Bruder, nach der Schönheit ihres bisherigen Lebens, das sie für mich weggeworfen hat … Kann man mit diesem Heimweh leben? Zerfrißt es nicht die Nerven? Zerstört es nicht alles Glück? Lyda, was werden wir noch ertragen müssen …?
Verdammt, was ist das?! Der Wagen eiert. Das Lenkrad flattert! Ein Reifen im Eimer? Aber das hört sich anders an … das ist ein anderes Gefühl … Die Streckenposten winken auch nicht … Aber der Wagen eiert! Bearns, was habe ich für eine Krücke unter mir?! Ich kann ihn kaum noch halten …
Marcel nahm den Fuß vom Gas. Vorbei, dachte er. Vorbei der Rundenrekord. Priestley steht morgen an der Startspitze. So kann man nicht siegen, wenn der Wagen nicht mehr in der Spur bleibt. Oh, du Scheiße! Hinten rechts, da eiert er … eiert er … eiert er …
Mein Gott, Gas weg! Gas weg! Ich breche aus …
Die Funkreporter an der Strecke schrien auf. Aus noch unersichtlichen Gründen brach auf der Geraden der Wagen von Jérome Marcel plötzlich aus und raste auf den Randstreifen zu. Fast ungebremst jagte er über das breite, sandige Bankett, durchbrach den Schutzzaun … und dann flog, wie von Geisterhand abgerissen, das rechte Rad hoch in die Luft, der Wagen überschlug sich, eine Stichflamme zuckte auf, dunkler Qualm entfaltete sich, und mit einem häßlichen, kreischenden Laut zerbarsten Stahl und Blech, in eine Feuerlohe eingehüllt.
Jérome Marcels merkwürdig verdrehter Körper war herausgeschleudert worden. Außerhalb des Trümmergewirrs lag er, in einer sich ausbreitenden Lache von Benzin und Öl, regungslos auf dem Rücken, den Helm noch auf dem Kopf, die Arme angewinkelt gegen die Brust gedrückt.
Er brannte.
Es dauerte vierzehn Stunden, bis das Ärzteteam, das sich um Jérome Marcel bemühte, resigniert den Kampf aufgab. In rasender Fahrt, mit Blaulicht und Sirenen, hatte man Marcel in das Grote-Schuur-Krankenhaus von Kapstadt gebracht. Die besten Spezialisten für Brandverletzungen und Unfall-Chirurgie standen bereit, als der Krankenwagen in die Aufnahme vorfuhr und die Trage im Laufschritt zum Operationssaal gebracht wurde. Sogar Professor Barnard traf eine Viertelstunde später ein; man hatte ihn in seinem Haus außerhalb Kapstadts alarmiert. Sein Bruder, Professor Marius Barnard, hatte die Leitung im OP übernommen. Marcels Körper lag auf dem Tisch, seine Haut war zu 70 Prozent verbrannt. Aus einer Reihe Infusionsflaschen lief lebenserhaltende Flüssigkeit in die Venen. Vier Ärzte waren damit beschäftigt, die verbrannten Hautteile vorsichtig abzulösen und die Wunden mit einer leichten, getränkten Gaze abzudecken.
Philipp Bearns, der Rennleiter, saß gebrochen vor dem OP in einem kleinen Wartezimmer und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Vor dem Krankenhaus, in der Eingangshalle und sogar an Hintereingängen, wehrten Krankenpfleger die Reporter ab, die bis zu Marcel oder einem der behandelnden Ärzte vordringen wollten. Auf der Rennbahn waren die Trainingsläufe abgebrochen worden. Eine Kommission, der auch die
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