Die Erbin
ist gut! Plötzlich sind Sie dann wieder im Kreise Ihrer Familie, und wenn diese Familie klug ist, stellt sie keine bohrenden Fragen, sondern breitet nur die Arme aus. Dann geht das Leben weiter.«
»Ich werde Jérome nie vergessen können, Doktor.«
»Das sollen Sie auch nicht. Später, wenn Sie alt sind, so alt wie ich, werden Sie es merken: Man lebt von den glücklichen Stunden des Lebens. Sie sind wie ein Nährboden.«
»Ich möchte Sie mitnehmen, Doktor Vennebosch.«
»Mich? Was soll ich in Ihrer Welt?! Auch mich werden Sie vergessen. Oder Sie werden einmal denken: Da war doch so ein vertrottelter Arzt in Südafrika – wie hieß er noch? Und wo war das? Eine Lagunenstadt, da unten irgendwo an der Küste des Indischen Ozeans …«
»Das wird nie sein, Doktor! Ich glaube, ich werde Ihren Rat, Ihre Stimme, Ihre Klugheit immer brauchen. Kommen Sie mit, bitte!«
»Bloß das nicht!« Dr. Vennebosch hob beide Hände. »Ich bin ein alter Elefant, Lyda. Sie wissen, was man von alten Elefanten berichtet? Sie ziehen sich zurück in die einsam und unzugänglich gelegenen Elefantenfriedhöfe und warten dort geduldig, bis sie umfallen. Ich habe mir Knysna ausgesucht. Ich möchte inmitten von Schönheit sterben. Und jetzt kein Wort mehr davon!«
Einen ganzen Tag ließ er Lyda allein im Haus, aber er blieb in ihrer Nähe. Er rief jede Stunde an, bis sie sagte: »Keine Sorge, ich schlucke keine Tabletten mehr. Und ich höre auch kein Radio. Aber ich habe den Tisch für zwei Personen gedeckt und spreche mit Jérome …«
»Die Flugkarten sind bestellt. Kapstadt – Johannesburg – Athen. Wir müssen übermorgen in Kapstadt sein.«
»Ich bin bereit!« Ihre Stimme klang erstaunlich stark und selbstbewußt. »Doktor?«
»Ja?«
»Ich habe Angst vor meinem Vater.«
»Vergessen Sie sie. Es gibt keinen Vater, der seiner Tochter nicht immer wieder verzeihen würde. Väter von Töchtern haben ein Schokoladenherz.«
Nun war Lyda also in der Luft, auf dem Weg nach Johannesburg. Dort hatte sie zwei Tage Aufenthalt, bis der Jumbo der SAA sie nach Athen bringen würde. Dr. Vennebosch wartete noch ein paar Minuten auf der Aussichtsterrasse des Flughafengebäudes, als habe er Angst, die Maschine könne umkehren. In seiner Leinenjacke knisterte die neueste Zeitung. Schlagzeile: ›Staatsanwaltschaft gibt Leiche von Marcel frei. Überführung nach Paris übermorgen. War es doch Sabotage?‹
Er ging in das schöne Flughafenrestaurant, setzte sich an eines der Panoramafenster und reckte sich, als habe er bisher krumm gelegen. Dann bestellte er den besten Rotwein vom Kap, und weil er so teuer war und der Gast nicht wie ein Millionär aussah, kassierte der Kellner sofort.
Im Flugzeug hatte sich Lyda ganz nach hinten gesetzt und blickte hinunter auf die herrliche Stadt, auf den Tafelberg, die Buchten und das Meer. Sie sah die Weingärten von Stellenbosch, die kahlen Bergwände der Swartberge und Kareeberge und dazwischen die weiten Farmen und die Steppen nördlich vom Großen Karoo. Eine bekannte Stimme ließ sie hochschrecken. Neben ihrem Sitz, in dem schmalen Gang, stand groß und hager, elegant und distinguiert wie immer, Kostas Portales. »Ihr Platz in der 1. Klasse ist reserviert, Lyda«, sagte er in seiner zurückhaltenden Art. »Der Champagner wird warm …«
»Ich bleibe hier!« Ihre Stimme war kalt und hart. Portales hob die Augenbrauen. Sie ist reifer geworden, stellte er nüchtern fest. Das Jungmädchenhafte ist verflogen. Wir müssen wohl Abschied nehmen von der unbekümmerten Jugend. Von jetzt ab müssen wir mit ihr rechnen. Sie ist die Tochter des alten Stavros! Sein Ton ist bereits in ihrer Stimme.
»Der Flugkapitän möchte mit Ihnen anstoßen.«
»Ich will nicht! Diesen Platz hat mir Doktor Vennebosch besorgt und hier bleibe ich! Wenn der Captain mit mir trinken will, soll er zu mir kommen!«
»Ich habe in der 1. Klasse einen kalten Hummer servieren lassen …«
»Werfen Sie ihn an die Wand!« sagte sie grob. »Wenn er nicht kleben bleibt, ist er schlecht und zu trocken.«
Sie drehte Portales den Rücken zu und blickte starr aus dem Fenster.
Unter ihr zog die Landschaft des Kaplandes vorbei.
Portales wartete noch eine Minute wie ein beleidigter Butler, dann ging er zurück in den vorderen Teil des Flugzeuges, wo die 1. Klasse lag. Die Chefstewardeß sah ihn erwartungsvoll an. Hummer und Champagner standen bereit.
»Warten wir noch ein wenig«, sagte Portales freundlich. »Mrs. Penopoulos möchte kein Aufsehen
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