Die Erbsünde
eine Ausnahme zu machen.
Er untersuchte Marietje und prüfte ihre Fieberkurve. Es ging ihr gut, wenn man bedachte, daß sie erst gestern operiert worden war. Der Sinusrhythmus hatte sich die ganze Nacht gehalten.
Er ging weiter ans nächste Bett. Das Manyani-Baby schlief fest. Bei jedem Atemzug gluckste das Wasser im Sauerstoffbehälter. Während der Nacht war die Atemfrequenz ständig gefallen, weil die Lunge sich ausdehnte und wieder anfing zu arbeiten. Die Krise war überstanden.
Wirst du jemals erfahren, was wir für dich getan haben? dachte Deon. Mit welcher Verbissenheit wir um dein Leben gerungen haben? Wahrscheinlich nicht. Und wenn doch, wirst du uns wahrscheinlich verfluchen, daß wir dich zum Leben gezwungen haben: Ein Schwarzer in einem Land, in dem nur Weiße Menschen sind.
»Ich spreche jetzt mit Marietjes Eltern, und dann machen wir einen Rundgang über die Stationen«, sagte er zu Moolman.
Van Rhyn war gegangen, und das Ehepaar stand in einer Nische am Fenster und unterhielt sich leise. Als Deon auf den Gang trat, kam Joubert auf ihn zu. Jetzt kommt's, dachte Deon. Gestern abend hätte er sich noch mit Wonne in ein Wortgefecht gestürzt, aber heute war alles anders. Das schwarze Baby war außer Gefahr, und Marietje war auf dem Wege der Besserung. Er hatte keinen Kampfgeist mehr in sich.
»Dr. Van der Riet«, sagte Joubert.
Deon schwieg erwartungsvoll.
»Ich möchte Ihnen unsern Dank sagen für das, was Sie für unser Kind getan haben«, sagte der nationalistische Parlamentsabgeordnete und zukünftige Minister demütig. »Ist sie jetzt geheilt!«
»Sie ist über dem Berg«, sagte Deon mit einem Lächeln, und zu seiner Überraschung fiel es ihm nicht einmal schwer. »Zuerst sah es etwas kritisch aus. Wir mußten das Herz mit einem Schrittmacher antreiben. Aber dann hat ihr eigenes Herz sich wieder eingeschaltet.«
Der Mann starrte ihn eindringlich an. Vermutlich bildete er sich jetzt sein Urteil über Deon. Seine hageren Züge waren von einer scharfen Intelligenz belebt.
»Wissen Sie, was sie zu mir gesagt hat?« fuhr Deon fort. »Sie sagte, ihr Herz sei gebrochen.«
»Ja, so hat ihre Mutter ihr erklärt, warum sie ins Krankenhaus mußte.«
»Das hab' ich mir schon gedacht. Nun, wir haben das gebrochene Herz wieder heilgemacht.«
»Wird sie in Zukunft normal leben können?«
»Sie wird noch ein paar Tage Ruhe brauchen, aber dann wird nichts mehr sie halten können.«
»Wir werden ihnen ewig dankbar sein.«
Die Frau sagte nichts, lächelte nur bewegt.
Joubert räusperte sich. »Der kleine Junge da drin, neben Marietje …«
Deon merkte, wie ihm die Luft wegblieb. Also doch!
»Hatte er auch ein Loch im Herz?«
»Er hat es noch«, erwiderte Deon brüsk. »Er ist ein blaues Baby. Wir haben vorläufig nur eine kleine Operation außerhalb des Herzens gemacht. Den eigentlichen Defekt können wir erst beseitigen, wenn er größer ist.«
Auf Jouberts nächste Frage war Deon nicht vorbereitet.
»Ist er von hier? Vom Kap?«
»N-nein, er ist aus Transkei.«
»Aus welchem Teil?« fragte Joubert unbeirrt weiter.
»Ich weiß es wirklich nicht. Er wurde aus dem Krankenhaus in Umtata überwiesen. Aber woher er kommt? Keine Ahnung.«
»Sind die Eltern hier?«
Die Unterhaltung bewegte sich in eine Richtung, der Deon nicht mehr folgen konnte. Aber aus irgendeinem Grunde schien es dem Abgeordneten wichtig zu sein, also beantwortete er auch diese Frage noch.
»Leider nicht. Er ist mit dem Zug gekommen, mit einer Begleitperson.« Er war versucht hinzuzufügen: »Dritter Klasse natürlich«, aber er unterdrückte die Bemerkung.
Piet Joubert nahm ein Päckchen von der Fensterbank. Es war in buntes Papier gewickelt.
»Würden Sie das bitte dem Baby geben? Wir hatten es für Marietje gekauft, aber meine Frau und ich möchten es gern dem Kleinen schenken.«
Deon nahm das Päckchen dankend entgegen. Es fühlte sich weich an. Er ging zurück auf die Intensivstation und packte es aus. Es war ein flauschiges weißes Stoffkaninchen. Er legte es neben das schlafende schwarze Baby und ging durch die Hintertür hinaus.
Im Gang blieb plötzlich jemand vor Deon stehen. Es war Johan Schoeman, einer der Kardiologen.
»Was, zum Teufel, bringt Sie dazu, mir einen Mongoloiden zu schicken?« sprach er Deon ohne Einleitung an.
»Wie?«
Schoeman tat beleidigt. »Wenn ich gewußt hätte, daß Sie mir einen Mongoloiden schicken, hätte ich mein Tennisspiel nicht abgesagt.«
Deons Mund verzog sich zu einem dünnen
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