Die Erbsünde
ist noch nicht alles«, unterbrach sie ihn heftig. »Ein Betrunkener wird stumpf und gleichgültig, während ich mit meinem Pot wacher und empfindsamer werde. Die Musik klingt melodischer, die Farben wirken leuchtender, und die Welt sieht heiter und froh aus. Aber es ist illegal. Und doch könnt ihr euren Sprit an jeder Straßenecke kaufen, und je mehr ihr davon konsumiert, um so reicher wird der Staat. Aber wenn ich rauchen will, muß ich es heimlich tun, oder ich wandere ins Gefängnis.«
Er wandte sich ab, um seine Verwirrung zu verbergen. Plötzlich empfand er so etwas wie Stolz auf seine Tochter. Sie jedenfalls schien zu wissen, was sie wollte.
»Nun, du scheinst ja deine Argumente alle parat zu haben«, sagte er bewußt gleichgültig. »Dann sag mir aber noch eins: Warum bist du, mit deinem Pot, von der Schule und dann auch vom College abgegangen? Du hast mit deinen achtzehn Jahren noch nicht viel erreicht, oder? Ich, mit meinem Sprit, habe etwas aus meinem Leben gemacht. Wie erklärst du dir das?«
Lisa sah aus dem Fenster auf die Lichter der Stadt im Tal. Dann sagte sie leise: »Hast du das wirklich, Daddy?«
Er sah kurz auf sie nieder. Unvermittelt beugte er sich vor, gab ihr einen Kuss auf die Wange und ging hinaus.
Elizabeth hatte das Licht im Schlafzimmer schon gelöscht, also zog er sich im Dunkeln aus.
Sie lag reglos mit angezogenen Knien auf der Seite, und er war nicht sicher, ob sie schon schlief. Er zog sich sein Kopfkissen über die Augen, aber die Gedanken schlugen Purzelbäume in seinem Gehirn: der VSD mit Herzblock, das Baby mit dem Lungenkollaps, Lisa und die Polizei.
Lisa. Lisa. Lisa. Er hatte sich so viel von ihr erhofft. War das vielleicht die Wurzel des Übels? Hatte er zuviel erwartet?
Endlich schlief er ein, nur um von dem Geräusch geweckt zu werden, das er über alles hasste: dem Läuten des Telefons. Er tastete nach dem Hörer.
»Moolman, Professor!«
Ach, du lieber Himmel. »Was ist los?«
»Marietjes Herzschlag ist plötzlich unregelmäßig geworden. Der Blutdruck ist auch gesunken.«
Im Hintergrund hörte Deon das Piep – Piep des Monitors. Übers Telefon klang es noch schriller. »Ist es plötzlich gekommen?« Er versuchte sich zu sammeln.
»Ja, Sir. Eben waren es noch hundertzwanzig Schläge die Minute, und mit einemmal ging's los. Können Sie kommen, Professor?«
»O.K. Aber zuerst machen Sie mal folgendes: Schalten Sie den Schrittmacher aus. Ich warte am Apparat.«
»Ich soll was?«
»Den Schrittmacher ausschalten. Ich warte.«
Moolman hatte offensichtlich den Hörer fallen lassen, denn Deon hörte ein Poltern und Krachen und dann ein Knacken in der Leitung. Er zog den Kopf ein. Er hörte, wie der Hörer rhythmisch an seiner Kordel hin und her baumelte. Aber darüber hinaus konnte er noch klar und deutlich das Piepen des Monitors ausmachen. Piep – piep. Piep. Piep. Piep – piep. Und dann, plötzlich und wie durch ein Wunder, erklang ein regelmäßiges Piep. Piep. Piep. Piep. Piep. Er zählte. Regelmäßige hundertdreißig in der Minute. Er hörte Moolmans eilige Schritte näher kommen.
Die Stimme des jungen Assistenzarztes überschlug sich fast. »Professor! Sie ist wieder im Sinusrhythmus! Wunderbarem Sinusrhythmus!«
Deon horchte auf Moolmans ekstatisches Stammeln und den Monitor im Hintergrund. »Großartig, mein Junge«, sagte er schließlich. »Jetzt hören Sie mal gut zu: Halten Sie den Monitor in Bereitschaft auf hundert pro Minute, und schalten Sie ihn wieder ein, falls nötig. Aber ich glaube, sie ist jetzt aus dem Gröbsten raus. Was macht das Baby?«
»Dem geht es viel besser. Ich habe eben die letzte Röntgenaufnahme gesehen. Die Lunge ist jetzt fast voll entfaltet.«
»Gut. Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen. Gute Nacht.«
Für Dr. Moolman gab es heute keinen Schlaf, und auch Deon lag noch lange wach. Das Leben war eine herrliche Sache. Das Leben ging immer weiter, egal, wie. Zu leben bedeutete Triumph angesichts des Verderbens. Er mußte seine Freude mit jemandem teilen.
Der Südost hatte sich verstärkt und rüttelte stürmisch an den Scheiben. Deon hörte, wie er gegen die Seitenwand blies und an der Dachrinne rappelte. Er lag wach und lauschte dem Wind. In seiner überschwänglichen Laune wünschte er sich, draußen auf dem Meer in einem kleinen Boot die Elemente zu bezwingen. Er kuschelte sich tiefer in seine Decken.
Da flog plötzlich krachend das Fenster auf und ließ einen scharfen Windstoß herein – der Riegel hatte
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