Die Erbsünde
es Ärger geben. Warum sind Sie dann ausgerechnet heute eingeschritten?«
»Wie, das wissen Sie nicht?«
»Was weiß ich nicht?«
»Das Kind, daß Sie heute operiert haben. Das kleine Mädchen. Wußten Sie nicht, wessen Tochter sie ist?«
»Marietje Joubert. Sie wurde aus Swellendam überwiesen. Mehr weiß ich nicht über sie.«
Dr. Van Rhyn schüttelte langsam den Kopf, sprachlos ob solch ungeheuerlicher Unwissenheit. »Und Sie wissen nicht einmal, wer Joubert ist?«
»Nein. Und es ist mir auch so ziemlich wurscht.«
»Aber, Mann, darum geht es doch. P. J. Joubert. Sie wissen doch, Piet Joubert, der Parlamentsabgeordnete. Er ist glühender Nationalist. Eines Tages wird er im Ministerrat sitzen. Können Sie sich vorstellen, was er dazu sagen würde, wenn er erfahren müßte, daß sein Kind mit einem schwarzen Baby zusammen in einem Raum liegt?«
Deon trat auf die Bremse, um einen Bus mit dem Schild ›Nur für Weiße‹ vorbeizulassen. Dann bog er durch das Tor zum Kinderkrankenhaus ein. Wie oft war er durch dieses Tor gefahren, jedes Mal in einer anderen Stimmung: von tiefster Niedergeschlagenheit bis zu übersprudelnder Lebensfreude.
Heute war er gut gelaunt. Nicht einmal der Streit mit dem Verwaltungsdirektor gestern abend und die ihm bevorstehenden Unannehmlichkeiten konnten ihm diese gute Laune verderben.
Er hatte Van Rhyn ein Ultimatum gestellt: Entweder das Manyani-Baby blieb auf der Intensivstation, oder er, Van Rhyn persönlich, ordnete an, es zurück in den Krankensaal zu schicken. Und in dem Fall trug er auch die Verantwortung.
»Schicken Sie es zurück«, hatte Deon zum Verwaltungsdirektor gesagt. »Aber dann können Sie es auch selbst behandeln. Und Gott sei Ihnen gnädig, wenn dem Kind etwas zustößt!«
Der Verwaltungsdirektor hatte sich auf dem Absatz herumgedreht und war steif den Korridor hinuntergestakt. Aber hatte es sich gelohnt? Van Rhyn war eigentlich ein anständiger Kerl – etwas aufgeblasen und sich der Würde seines Amts bewußt, aber gutherzig und immer hilfsbereit, es sei denn, er verfing sich in den Schlingen der Bürokratie.
Gestern abend auf dem Heimweg hatte Deon sich geschworen, den Dienst zu quittieren, ehe er dabei draufging. Wozu sollte er sich Tag für Tag im Ringen mit dem Amtsschimmel aufreiben?
Am Nachmittag war ein heftiger Südostwind aufgekommen, der seinen Wagen in die Mitte der Fahrbahn drückte, als er den kahlen Abhang des Berges erklomm. Deon war zu Tode erschöpft. Was mochte ihn zu Hause erwarten? Wenig Angenehmes, weiß Gott!
Lisa war in ihrem Zimmer und erschien nicht zum Essen. So aßen Deon und Elizabeth unter eisigem Schweigen allein. Schließlich schob er seinen Stuhl zurück. »Hast du Lisa etwas warmgehalten? Ich bring' es ihr rauf.«
»Im Wärmeofen. Aber mach dir keine Hoffnungen, daß sie's isst«, sagte Elizabeth, ohne von ihrer Kaffeetasse aufzusehen.
Er klopfte an Lisas Tür – keine Antwort. Er klopfte noch einmal. »Die Tür ist nicht abgeschlossen«, hörte er undeutlich.
Er trat ein. Sie saß im Schneidersitz auf dem Bett, bekleidet mit nichts als einem Höschen.
»Geht es dir jetzt besser?« fragte er, bemüht, in seine Stimme nichts als Besorgnis zu legen.
»Mir ging es gar nicht schlecht, Daddy.«
Deon mußte daran denken, wie Elizabeth früher immer splitternackt durch ihre Wohnung gelaufen war. Damals war sie etwa im gleichen Alter gewesen wie jetzt ihre Tochter.
»Lisa, warum machst du solche Sachen?«
Sie tat gar nicht erst unwissend. »Weil es mir Spaß macht, Daddy.« Sie stellte den Teller, den er mitgebracht hatte, aufs Kopfkissen.
»Das ist doch kein Grund, etwas Schlechtes zu tun«, sagte er, verlegen um ein stichhaltiges Argument. Ihre Offenheit hatte ihn außer Fassung gebracht.
»Für mich schon.« Sie nahm die Gabel in die Hand und sah ihn an. »Warum trinkst du?«
Was sollte er jetzt sagen? Weil es mir Spaß macht?
»Das ist etwas ganz anderes.«
»Das kann man wohl sagen«, platzte sie heraus. Wieder wurde er an Elizabeth erinnert. »Aber der Unterschied besteht darin, daß die eine Droge erlaubt ist und die andere nicht.« Ihre braunen Augen blickten ihn ruhig an, das Kinn reckte sie energisch hoch. »Du trinkst, um dich zu entspannen; ich rauche Pot, um der Realität zu entfliehen. Aber du wachst mit einem Kater auf und ich nicht. Du vergiftest deinen Körper, deine Leber und – na ja, du weißt das selbst ja viel besser. Pot schadet meiner Gesundheit nicht.«
»Sag das nicht …«
»Und das
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