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Die Erbsünde

Titel: Die Erbsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barnard Christiaan
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unfassbar.
    Einen Häuserblock vor Elizabeths Wohnung hielt er und zündete sich fahrig eine Zigarette an. Diese alltägliche Geste brachte ihm mit einem Schlage zu Bewußtsein, was er seit zwei Stunden krampfhaft zu verdrängen suchte.
    Mein Vater ist tot.
    Das war die unentrinnbare Wahrheit, die ihn hierher getrieben hatte wie einen Vogel, der nach scheinbar ziellosem Kreisen ohne zu zögern in das heimatliche Nest fliegt.
    Er mußte an das letzte Mal denken, als er in der gleichen Verstörtheit in der Morgenfrühe durch die Straßen gefahren war, um sich abzureagieren. Es war an dem Morgen, nachdem er Elizabeth kennen gelernt hatte, als er das farbige Baby untersuchen mußte, das vergewaltigt worden war.
    Seine umherirrenden Gedanken blieben bei der Szene in dem kahlen Gerichtssaal hängen, wo er als Zeuge aufgetreten war. Der tierisch-brutale Mann, der die Tat begangen hatte, wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Sein Verteidiger plädierte auf verminderte Zurechnungsfähigkeit; er konnte beweisen, daß sein Klient unter Einfluß von Alkohol und Dagga gestanden hatte. Dieses Mal sagte der Richter nichts von der Notwendigkeit, die Gesellschaft zu schützen.
    Boet hätte sich betrinken sollen, dachte Deon bitter. Dann hätten sie ihn vielleicht nicht für drei Jahre eingesperrt.
    Er warf die halbgerauchte Zigarette weg und stieg aus dem Auto. Die Tür knallte er hinter sich zu.
    Mein Vater ist tot.
    Das war auch das erste, was er sagte, als Elizabeth ihm die Tür öffnete.
    Sie war blass. Dünner war sie auch geworden, seit er sie zuletzt gesehen hatte. Wie lange war das her? Er wußte es nicht mehr.
    Sie griff sich an die Kehle. »Dein Vater …«
    »Tot«, sagte er grimmig. Und dann: »Wo ist Philip?«
    Philip war da, in korrektes Schwarz gekleidet. Trug er schon Trauer? Er runzelte besorgt die Stirn.
    Drei Menschen standen zusammengedrängt in der winzigen Diele; sie schienen den ganzen Raum zu füllen.
    »Mein Vater ist tot«, sagte Deon ernst zu Philip.
    Philip und Elizabeth sahen sich an. Geheimnisse, dachte Deon. Sie haben Geheimnisse miteinander, und sofort wurde er wieder wütend. Mir können sie nichts weismachen. Ich weiß alles. Von jetzt an gibt es keine Geheimnisse mehr.
    Plötzlich fiel ihm auf, daß sie beide vollständig angezogen waren, obwohl es noch sehr früh war. (Hatte er heimlich gehofft, sie in flagranti zu ertappen, damit sie nichts mehr ableugnen konnten und er zwei Opfer hatte, gegen die er seine Wut richten konnte?) Müde schüttelte er den Kopf. Er wußte nicht mehr, worauf er hoffte.
    Elizabeth bemerkte seine matte Geste. »Komm doch rein, Deon. Du bist ja völlig …«
    Erst jetzt sah Deon, daß er immer noch seine Operationskleidung trug: Unterhemd, Kappe und weiße Hosen, die in weißen Gummistiefeln steckten.
    Plötzlich war auch er ganz gelassen und bereit, die Ereignisse und ihre Konsequenzen vernünftig zu besprechen. Philip und Elizabeth.
    Nein, das war falsch.
    Philip und Deon.
    Oder Philip gegen Deon, denn sie waren Rivalen, waren es immer gewesen, es war töricht, das vertuschen zu wollen. Vieles stand zwischen ihnen: alles, was den Sohn eines weißen, reichen Farmers von dem Sohn eines farbigen Bediensteten trennte. Das einzige, das sie verband, war die Rivalität. Die war jenseits von Rasse oder Klasse. Schon in der Kindheit und frühen Jugend hatte es begonnen, und als sie sich später wieder begegneten, war es dasselbe, als hätte die Zeit dazwischen gar nicht existiert. Es war ein unbewußter, aber unablässiger Kampf gewesen. Wer würde nach all den Jahren die Oberhand gewinnen?
    Heute sollte es zur Entscheidung kommen, zur offenen und direkten Konfrontation, und es ging um die älteste und abgedroschenste Sache der Welt: eine Frau.
    »Was willst du hier?« fragte Deon Philip mit unverhohlener Abneigung. »Du hast hier nichts verloren.«
    Philip stand unbeweglich.
    Elizabeth antwortete für ihn: »Wie meinst du das?« Ihre Stimme war schneidend.
    »Was macht er hier bei dir?« fragte Deon anklagend zurück.
    »Das geht dich nichts an.« Sie verschränkte die Finger und starrte in ihre Hände, als suche sie darin die Lösung eines Rätsels zu finden.
    »Schmeiß ihn raus!«
    Sie wurde noch blasser. Ihre Stimme war hart wie Stein.
    »Ich liebe ihn. Kannst du so was verstehen?«
    Er wurde von rasendem Zorn gepackt, war aber zu schlau, ihn zu zeigen. Er würde sie beide überlisten.
    »Liebe?« lachte er höhnisch. »Lieben …«, und geringschätzig fügte er

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