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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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hinausgeschoben hatte; und jäh blieb er erschüttert stehen, ein Gedanke hatte sein Hirn durchzuckt; er hatte blitzartig gesehen, was geschehen würde, wenn er sie verjagte: das Feld in zwei Hälften geschnitten, die eine von ihr mitgenommen, die sie vielleicht ihrem Galan gab. Diese Vorstellung ließ ihn zu Eis erstarren, bewirkte, daß sich seine aufgebrachte Begierde jäh legte. Nein, das war dumm, man durfte nicht alles fahren lassen, weil einen einmal ein Mädchen hat in die Luft gucken lassen. So was Schlüpfriges findet sich schon wieder, während die Erde, die man einmal hat, das Wahre ist, das man behalten muß.
    Er sagte nichts mehr; mit zögerndem Schritt ging er weiter, war verdrossen, weil er nicht wußte, wie er seine Handgreiflichkeit ungeschehen machen sollte, bevor er seine Frau erreichte.
    Endlich entschloß er sich:
    »Ich mag keine bösherzigen Leute; nur weil du so tust, als ob du dich vor mir ekelst, deshalb ärgere ich mich ... Sonst hab ich nicht gerade Lust, meiner Frau in ihrem Zustand Kummer zu machen.«
    Sie bildete sich ein, er fürchte, daß sie ihn ebenfalls an Lise verraten würde.
    »Du kannst sicher sein: wenn du redest, rede ich auch.«
    »Oh, davor habe ich keine Angst«, versetzte er mit gelassener Dreistigkeit. »Ich sage einfach, daß du lügst, daß du dich rächen willst, weil ich dich überrascht habe.«
    Als sie dann bei Lise anlangten, fügte er rasch hinzu, um das Thema zu beenden:
    »Also das bleibt unter uns ... Müssen noch mal zu zweit drüber reden.«
    Lise begann sich jedoch zu wundern, weil sie nicht verstand, wieso Françoise mit Geierkopf wieder zurückkam.
    Der erzählte, die Faulenzerin habe dort drüben hinter einer Miete geschmollt.
    Übrigens unterbrach sie alle ein heiserer Schrei, und man vergaß die Angelegenheit.
    »Was ist denn los? Wer hat geschrien?«
    Es war ein entsetzlicher Schrei, ein langgezogenes, gebrülltes Stöhnen, gleich dem Todesröcheln eines Tieres, das abgeschlachtet wird. Der Schrei stieg auf und erlosch in der unerbittlichen Flamme der Sonne.
    »He? Was ist denn das? Ein Pferd sicher, das sich die Knochen gebrochen hat!«
    Sie drehten sich um, und sie erblickten Palmyre, die in dem benachbarten Stoppelfeld noch aufrecht dastand inmitten der Schwaden. Sie preßte mit ihren versagenden Armen eine letzte Garbe, die zu binden sie sich abmühte, an ihre flache Brust. Aber sie stieß einen neuen Todesschrei aus, der noch herzzerreißender war, einen Schrei entsetzlicher Angst; und alles loslassend, drehte sie sich um sich selber und stürzte hin ins Getreide, zu Boden geschmettert von der Sonne, die ihr seit zwölf Stunden einheizte.
    Lise und Françoise hasteten hin, Geierkopf folgte ihnen mit weniger eiligem Schritt, während von den Ackerstücken ringsum ebenfalls alles ankam, die Delhommes, Fouan, der dort herumstrich, und die Große, die mit der Spitze ihres Stocks die Steine wegschleuderte.
    »Was ist denn los?«
    »Palmyre hat einen Anfall.«
    »Ich hab von da drüben aus deutlich gesehen, wie sie hingefallen ist.«
    »Ach, mein Gott!«
    Und in dem geheimnisvollen Entsetzen, das die Krankheit dem Bauern einflößt, schauten alle ringsum auf sie, ohne sich zu nahe heranzuwagen. Sie lag ausgestreckt da, das Gesicht zum Himmel gewandt, die Arme ausgebreitet, gleichsam gekreuzigt auf der Erde, die sie durch die harte Schufterei so rasch verbraucht hatte und die ihr nun den Tod gab. Irgendein Blutgefäß war wohl geplatzt; ein Faden Blut floß aus ihrem Munde. Aber noch mehr verendete sie vor Entkräftung, bei dieser Plackerei eines überbeanspruchten Tiers war sie so ausgedörrt inmitten des Stoppelfeldes, so zu einem Nichts zusammengeschrumpft, daß sie dort nur ein fleischloser, geschlechtsloser Fetzen war, der sein letztes bißchen Atem mitten in all der üppigen Fruchtbarkeit der Ernte aushauchte.
    Indessen trat endlich die Große, die Großmutter, vor, die sie verleugnet hatte und niemals mit ihr sprach.
    »Mir scheint, sie ist tot.«
    Und sie stieß sie an mit ihrem Stock. Der Körper, die im blendenden Licht offenen und leeren Augen, der im Winde der Weite klaffende Mund, nichts regte sich mehr. Auf dem Kinn gerann der Faden Blut.
    Da fügte die Großmutter, die sich gebückt hatte, hinzu:
    »Klar, sie ist tot ... Besser das, als anderen zur Last fallen.«
    Alle waren erschüttert und rührten sich nicht. Konnte man sie denn anfassen, ohne den Bürgermeister zu holen? Sie sprachen zunächst leise, dann fingen sie wieder an zu

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