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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Räume. Alles das war sehr alt, dieses angestammte Vaterhaus, das in drei Jahrhunderten so vieler Arbeit und so vielem Elend Obdach gewahrt hatte, daß irgend etwas Ernstes darin schwebte, wie im Dunkel alter Dorfkirchen. Die Türen waren offengeblieben. Ein Gewittersturm schien unter den Balken getobt zu haben, in heillosem Durcheinander lagen inmitten des Wirrwarrs bei diesem Auszug Stühle auf dem Fußboden herum. Man hätte meinen können, es sei ein ausgestorbenes Haus.
    Und Françoise machte mit kleinen Schritten einen Rundgang, sah sich alles an. Wirre Empfindungen, verschwommene Erinnerungen erwachten in ihr. An dieser Stelle hatte sie als Kind gespielt. Hier in der Küche am Tisch war ihr Vater gestorben. In der Stube vor dem Bett ohne Strohsack erinnerte sie sich an Lise und Geierkopf, an die Abende, an denen sie sich so derb nahmen, daß sie durch die Decke der Stube hindurch hörte, wie sie keuchten. Würden die beiden sie nun noch quälen? Sie fühlte deutlich, daß Geierkopf immer noch gegenwärtig war. Hier hatte er sie eines Abends gepackt, und sie hatte ihn gebissen. Da auch, da auch. In allen Ecken fand sie Erinnerungen wieder, die sie mit Verwirrung erfüllten.
    Als sich Françoise dann umdrehte, war sie überrascht, Jean zu erblicken. Was machte der denn bei ihnen zu Hause, dieser Fremde? Er sah verlegen aus, er schien auf Besuch zu sein und traute sich nicht, irgend etwas anzurühren. Ein Gefühl der Einsamkeit machte sie untröstlich, sie war verzweifelt, daß sie sich nicht mehr ihres Sieges freute. Sie hatte geglaubt, bei ihrem Einzug hier vor Freude aufzuschreien, hinter dem Rücken ihrer Schwester zu frohlocken. Und das Haus bereitete ihr kein Vergnügen, ihr war beklommen ums Herz vor Unbehagen. Das lag vielleicht an dem so schwermütigen Tag, der zur Neige ging. Sie und ihr Mann fanden sich schließlich in der stockfinsteren Nacht, wie sie immer noch von einem Raum in den anderen streiften, ohne daß sie auch nur den Mut gehabt hätten, eine Kerze anzuzünden.
    Aber ein Geräusch brachte sie in die Küche zurück, und es heiterte sie auf, als sie Gédéon erkannten, der nach seiner Gewohnheit hereingekommen war und den offengebliebenen Küchenschrank durchstöberte. Die alte Coliche muhte nebenan hinten im Stall.
    Da nahm Jean Françoise in seine Arme, küßte sie sanft, um gleichsam zu sagen, man werde trotzdem glücklich sein.
     

Fünfter Teil

Kapitel I
    Vor der Winterbestellung bedeckte sich die Beauce, soweit das Auge reichte, unter dem blaß gewordenen Septemberhimmel mit Mist. Von morgens bis abends zogen träge Fuhren über die Feldwege dahin, zweirädrige Wägelchen, die von altem fauligem Stroh überquollen und mit dicken Brodem dampften, als wollten sie der Erde einheizen. Überall auf den Feldstücken bildeten kleine Haufen Buckel, das hohlgehende und steigende Meer der Streu aus Kuhstall und Pferdestall; während man auf manchen Feldern bereits die Haufen ausgebreitet hatte, deren breitgelaufene Woge in der Ferne den Boden mit schwärzlichem Schmutz ausschattierte. Der Saatenwuchs des kommenden Frühlings, der floß in diesem Gären der Mistjauche; die verweste Materie ging wieder ein in die gemeinsame Gebärmutter, der Tod schickte sich an, wieder Leben zu schaffen; und von einem Ende der unermeßlichen Ebene bis zum anderen stieg ein Geruch auf, der mächtige Geruch dieses Kots, der Nährmutter für der Menschen Brot.
    Eines Nachmittags fuhr Jean einen tüchtigen Wagen Mist auf sein Feldstück Les Cornailles. Seit einem Monat waren er und Françoise eingezogen, und ihr Dasein verlief im tätigen und eintönigen Gang des Landlebens. Als er auf seinem Feld anlangte, erblickte er Geierkopf auf dem Nachbarstück, der eine Mistgabel in den Händen hielt und damit beschäftigt war, die in der vorigen Woche dort hingesetzten Haufen auszubreiten. Die beiden Männer wechselten einen scheelen Blick. Häufig begegneten sie einander, häufig waren sie so gezwungen, nebeneinander zu arbeiten, da sie ja Nachbarn waren; und vor allem Geierkopf hatte darunter zu leiden, denn Françoises Teil, der aus seinen drei Hektaren herausgerissen war, ließ ein Stummelstück links und ein Stummelstück rechts übrig, was ihn zu ständigen Umwegen zwang. Niemals richteten sie ein Wort aneinander. Vielleicht würden sie sich niedermetzeln, sobald ein Streit ausbrach.
    Jean hatte inzwischen angefangen, den Mist von seinem Wagen abzuladen. Er war hineingestiegen, war bis zu den Hüften eingesunken und

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