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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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verschlafen dahin, daß man sie vergaß. An der leidigen Angelegenheit hatte sich nichts geändert, Geierkopf war halsstarrig, und er heiratete Vater Flieges Älteste, die seinen Knirps großzog, immer noch nicht. Auch bei Jean hatte sich nichts geändert, den man beschuldigte, mit Lise zu schlafen: vielleicht schlief er wirklich nicht mit ihr; aber warum verkehrte er da weiter im Hause der beiden Schwestern? Das wirkte verdächtig. Und die Stunde am Brunnen hätte sich an manchen Tagen langweilig hingeschleppt ohne Cœlina Macquerons und Flore Lengaignes Rivalität, die die Bécu unter dem Vorwand, die beiden miteinander auszusöhnen, gegeneinander aufhetzte. Mitten in die Ruhe waren dann zwei große Ereignisse hereingeplatzt, die nächsten Wahlen und die Sache mit dem famosen Weg von Rognes nach Châteaudun, die einen furchtbaren Sturm von Tratschereien entfachten. Die vollen Krüge blieben in einer Reihe stehen, die Frauen gingen nicht mehr fort. An einem Samstagabend hätte man sich beinahe geprügelt.
    Nun aber speiste gerade am folgenden Tage Herr de Chédeville, der Abgeordnete, dessen Mandat ablief, auf La Borderie bei Hourdequin zu Mittag. Er machte seine Wahlrundreise, und auf Herrn Hourdequin, der viel Einfluß auf die Bauern des Cantons hatte, nahm er Rücksicht, obwohl er sicher war, dank seiner Eigenschaft als offizieller Kandidat wiedergewählt zu werden. Er war einmal in Compiègne44 gewesen, die ganze Gegend nannte ihn den »Freund des Kaisers«, und das genügte: man nannte seinen Namen, als habe er jeden Abend in den Tuilerien45 geschlafen. Dieser Herr de Chédeville, ein alter Stutzer, der Glanz der Regierungszeit LouisPhilippes, hegte im Grunde seines Herzens zarte orléanistische46 Gefühle. Er hatte sich mit Frauen zugrunde gerichtet, er besaß nur noch sein Gehöft La Chamade in der Gegend von Orgères, wo er nur zur Zeit der Wahlen hinkam; er war übrigens verärgert über die sinkenden Pachten und war erst spät auf die praktische Idee gekommen, sich mit Geschäften zu befassen und so sein Vermögen wieder aufzubessern. Er war groß und noch elegant, hatte eine Schnürbrust und gefärbtes Haar, führte trotz seiner Augen, die aufglühten, wenn der allerverworfenste Unterrock vorbeistrich, ein ordentliches Leben; und wie er sagte, arbeitete er bedeutende Reden über Landwirtschaftsfragen aus.
    Am Tage zuvor hatte Hourdequin einen heftigen Streit mit Jacqueline gehabt, die bei dem Essen dabeisein wollte.
    »Dein Abgeordneter, dein Abgeordneter! Glaubst du denn, daß ich ihn auffressen würde? – Du schämst dich also meiner?«
    Aber er hielt stand, es wurden nur zwei Gedecke aufgelegt, und sie schmollte trotz der galanten Miene Herrn de Chédevilles, der sofort begriff, als er sie erblickte, und unaufhörlich die Augen zur Küche wandte, wo sie sich in ihre Würde einschloß.
    Das Essen ging zu Ende, nach einem Omelett eine Forelle aus dem Aigre und gebratene Tauben.
    »Was uns umbringt«, sagte Herr de Chédeville, »das ist dieser Freihandel, an dem der Kaiser geradezu einen Narren gefressen hat. Zweifellos sind die Dinge nach den Verträgen von 186147 gut gegangen, man hat das wie ein Wunder beschrien. Aber heute werden die tatsächlichen Auswirkungen fühlbar; Sie sehen, wie alles verschleudert wird. Ich, ich bin für Schutzzölle, man muß uns gegen das Ausland abschirmen.«
    Hourdequin, der sich in seinem Sessel zurückgelehnt hatte und nicht mehr aß, hatte unstete Augen und sprach langsam:
    »Der Weizen, der achtzehn Francs pro Doppelzentner bringt, hat sechzehn Francs Gestehungskosten. Wenn der Preis noch weiter sinkt, so bedeutet das den Ruin ... Und wie es heißt, erhöht Amerika jedes Jahr seine Getreideausfuhr. Man droht uns mit einer wahren Überschwemmung des Marktes. Was soll denn aus uns werden? – Sehen Sie! Ich bin immer für den Fortschritt gewesen, für die Wissenschaft, für die Freiheit. Nun ja, ich bin jetzt schwankend geworden, Ehrenwort! Ja, wir können doch nicht verhungern, soll man uns gefälligst schützen!« Er machte sich wieder über seinen Taubenflügel her und fuhr fort: »Sie wissen, daß Ihr Konkurrent, Herr Rochefontaine, der Besitzer der Bauwerkstätten in Châteaudun, ein wütender Anhänger des Freihandels ist?«
    Und sie plauderten eine Weile über diesen Industriellen, der zwölfhundert Arbeiter beschäftigte, ein intelligenter und rühriger großer Kerl war, sehr reich übrigens und jederzeit bereit, dem Kaiserreich zu dienen, der sich aber, weil

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