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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julya Rabinowich
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fliegend.
    Draußen lauert die Gefahr, draußen ist es billig und dreckig und nicht standesgemäß, das hat sie zwar nie gesagt, aber bedeutet, mit einem abschätzigen Blick, mit einer Bewegung der knochigen Schulter unter dem dunklen Kleid, während sie in der Küche die Edelsteine putzte, die noch ihrer Mutter gehört hatten. Große durchsichtig geronnene Tränen von früherem Reichtum, in Goldfassung gezurrt und in Zeitlosigkeit, sie würde eher hungern, als diese Juwelen zu verkaufen, Ohrgehänge, Geschmeide, einen Ring, zackenförmig wie ein Stern.
    Eines Nachts, als ich in meinem Bett neben meiner Schwester hochschreckte, nicht mehr einschlafen konnte, auch nicht an ihren warmen Rücken geschmiegt, und mich auf den Gang stahl, sah ich sie. Wie sie mit den Juwelen reglos vor dem einzigen beschlagenen Spiegel stand, der einem das Ebenbild wie aus weiter Ferne alter Malereien zeigte. Große Edelsteintriangeln an ihren Ohren, deren Läppchen vom Gewicht des Schmuckes absurd verlängert wurden, um den Hals ein Collier, harnischgleich auf die flache Brust gelegt.
    Leos Augen funkeln mit Mutters Steinen um die Wette, er schwingt in seiner grauen Sesselschaukel zwischen den jungen Männern vor und zurück, bis sie ihn in die Wohnung gehievt haben, er gibt ihnen Trinkgeld, das erste Mal sehe ich ihn wirklich viel Trinkgeld geben.
    Er kramt angewärmte Scheine unter seinem Gesäß hervor, einige fallen vor seine Füße in den Krankenhauspantoffeln. Die Jungs setzen ihn ab, auf den Sessel im Korridor, und er bückt sich schnaufend und kichernd und gibt den beiden das Geld. Sie stopfen überrascht und peinlich berührt von Leos infantilem Überschwang, aber erfreut über den unerwarteten Zuverdienst die Scheine in die Taschen.
    »Die Untersuchung war gut!«, jubelt Leo und stürzt das Glas Wasser hinunter, das ich ihm untertänig reiche als Geisha im rot gemusterten Bademantel.
    Die Ärzte sind zufrieden, meint er. Sie hätten seine Medikamente vorsichtig herabgesetzt. Eine dreißigprozentige Chance hätte er, dass er wieder gesund werde.
    »Dreißig Prozent«, schreit er, so stolz auf sich, so fröhlich, als ob es mindestens hundertzehn Prozent wären.
    »Das müssen wir feiern«, fährt er eifrig fort, »ich will mit dir wegfahren. Wir fahren weg. Du und ich!«
    Ich lehne mich an die Holzvertäfelung seines Vorzimmers. Ganz fest, bis die Härchen des Bademantels am Furnier plattgedrückt werden und meine Schulterblätter auch.
    Ich will nicht mit Leo wegfahren. Ich weiß schon jetzt, wohin die Reise gehen wird, ich habe die vielen identen Fotos seiner Urlaube mit Annemarie in seiner angeblich geheimen Annemarielade gesehen, 1995, 1996, 1997, 1998, 1999, fleißig ins Album eingeklebt und mit Datum versehen wie alter Wein. Nur dass diese Alben mit der Zeit weder besser noch geheimnisvoller werden, nur gelblich verfärbt und ausgebrannt wie Leos Körper. Seit sie weg ist, fehlen auch die Alben, er hat seit ein paar Jahren entweder keinen Urlaub mehr gemacht oder keine Fotos.
    Ich will nicht, dass Leo gesund wird. Ich will ihn haben, ganz, mit Haut und Haar, aber nicht lange, so wie man sich absichtlich ein kurzlebiges Haustier nimmt und von Anfang an weiß, dass die Verantwortung nicht lange währen wird.
    Wenn er gesund wird, braucht er weder meine Hilfe noch den Rat der Karten.
    Wenn er gesund wird, kommt Annemarie zurück und nimmt mir die Wohnung, das Geld, Leos Unterstützung und Aufmerksamkeit. Dann wird Leo bald merken, dass ich nicht standesgemäß bin, eine abartige Lösung, ein absurder Versuch, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen, den er nicht mehr benötigt, wenn es auf Schiene läuft.
    Dann bin ich nicht mal mehr als seine Putzfrau gut.
    Ich sehe ihn hasserfüllt an, seine Freude stößt mich ab, wie kann er sich so egoistisch an seinen elenden dreißig Prozent berauschen und mit mir feiern wollen! Mit mir, die er bei erstbester Gelegenheit entsorgen wird auf der Müllhalde seiner problematischen Krankheitsvergangenheit, bevor er die von mir sauber gewischte Tür für Annemarie weit öffnet? Ich stelle mir vor, wie er mir, bevor er mich hinauswirft, noch aufträgt, seine geheime Lade zu öffnen, die Dinge, die seit zwei Jahren darin schlafen, zu entstauben und zu putzen und wieder in der Wohnung zu verteilen, die gemeinsamen Fotos, die widerlichen Wollwandteppiche, die zwei Henkeltassen mit blumenumranktem »Leo« und »Annemarie« darauf, aus Mariazell.
    Ich werfe also Leos Glas, das er mir so leer

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