Die Erfinder des guten Geschmacks
hat das Bild der Köche geprägt. Die Pose des Grand Chef mit den verschränkten Armen und der hohen Kochmütze? Das ist er. Der Koch als Unternehmer, der seine Ideen bis nach Amerika und Tokio exportiert? Wieder er: Paul Bocuse. 85 Jahre wurde le Chef am 11. Februar 2011. Mehr als 40 davon hat er die Titelseiten der Welt geschmückt, hat uns mit seinem unnachahmlichen Humor begleitet: Ob Paul und Georges Duboeuf, wie sie im Weinberg Cola trinken, oder das täuschend echt nachgestellte Abendmahl mit Chapel, Vergé, Guérard als Apostel und Bocuse selbst als Erlöser. Oder Paul während einer Überschwemmung mit dem Surfbrett vor seinem Restaurant. Alles erreicht hat er ohnehin: Drei Sterne im Michelin , etliche Zweitlokale in Form diverser Bistros, ein Kochwettbewerb, der schon zuLebzeiten »goldener Bocuse« heißt, Kochbücher mit Bestsellerauflagen. Außerdem war er einer der Gründungsmitglieder der Köche-Organisation Euro-Toques.
Kein Zweifel, Paul Bocuse ist eine Legende, ein Phänomen, nein: eine Ikone, die Inkarnation der cuisine française . Urgestein. Einer, der selbst am Anfang noch mit Kohleöfen kochte und über die letzten 65 Jahre Fortschritt staunt. »Du willst 180 Grad – bitte sehr, auf das Grad präzise.«
Er war der erste Rockstar unter den Küchenchefs. Einer, der in seiner Biografie Le feu sacré unumwunden zugibt, permanent mit mindestens drei Frauen zusammengelebt zu haben, und dabei die Gelegenheit nutzt, uns seinen unehelichen Sohn Jérôme vorzustellen.
In Lyon gibt es sogar Gerüchte, er hätte sieben Mätressen gehabt, zumindest erzählt das der Inhaber eines Schlüsseldienstes jedem, der es nicht unbedingt wissen möchte. Monsieur Paul hätte für alle sieben Damen Apartments gemietet und verfügte über einen Generalschlüssel, der natürlich rein zufällig auch seine eigene Wohnungstür öffnete. In Frankreich gelten solche Gerüchte normalerweise eher als Kompliment denn als üble Nachrede.
Übervater der Berufsgruppe der Köche war er auch. Mit seinem Sinn für Kommunikation hat Paul Bocuse dazu beigetragen, dass die Gäste heute die Namen der Köche kennen, nicht die der Restaurantbesitzer und der Maître d’Hôtels. »Ich nehme nichts für mich in Anspruch, außer, den Köchen ihren Namen und ihre Restaurants wiedergegeben zu haben«, sagt Bocuse selbst und scherzt: »Natürlich habe ich dazu beigetragen, dass die Köche die Küche verlassen. Jetzt kommt es darauf an, dass sie auch mal drinbleiben« (zitiert nach Anthony Blake, Quentin Crewe: Great Chefs of France , 1978).
Ein wenig scheint er sich heute noch über den eigenen Erfolg zu wundern: »Verglichen mit Michel Guérard oder Roger Vergé ist Paul Bocuse nicht am besten platziert, um die französische Küche zu inkarnieren«, heißt es in seiner Biografie. Doch Paul sprach immer – und ganz natürlich – im Namen aller und war schon ein Meister der PR, als »Public Relations« höchstens bei Waschmittelkonzernen, nicht aber bei Köchen existierte. Mal ließ er in einer Lokalzeitung Rezepte wie »Lammkeule nach Straßenarbeiterart« publizieren: Lamm 35 Minuten in den heißen Teer hängen und bei Tisch aus der Kruste befreien. Mal benannte er eine Straße in Lyon nach einem Restaurant, lud sämtliche Journalisten ein und hielt dann selbst die Festrede. Der Bürgermeister, der in keiner Weise über die neue »Rue Leon de Lyon« unterrichtet war, hatte sich angeblich verspätet.
Doch die »Marke Bocuse« wurde nicht nur auf solchen Späßen gebaut. Le Chef verstand es stets, sich in Szene zu setzen: 1977 etwa wurde ihm vom Unternehmen Bragard eine Kochjacke aus ägyptischer Baumwolle buchstäblich auf den Leib geschneidert, komplett mit Namenszug auf der Brust. Letzterer hat sich inzwischen grenzübergreifend durchgesetzt. Seine Kochmützen waren größer als die anderen damaligen Modelle und ließen ihn um fast einen halben Meter »wachsen«.
Seine erste Reise nach Amerika war noch eine Herausforderung: Damals, Mitte der Sechzigerjahre, reisten er und sein Team jeweils mit einer halben Tonne Material durch Amerika. Gut 15 Jahre später eröffneten sie gar ein Restaurant in Disneyland.
Da war der Name Bocuse längst eine Marke in den »Daimaru«-Shoppingtempeln in Japan, die seit 1976 mit »Bocuse Weinen«, Marmeladen und Essigen handelten.
Mit den Multi-Aktivitäten kam die Frage auf, wer bei Bocuse eigentlich koche. »Dieselben, die kochen, wenn ich dabin«, pflegte er zu sagen. Die vollständige
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