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Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Zipprick
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jungen Leute im Jahr 1968, die trotz permanentem Wirtschaftsaufschwung auf die Straße drängten und irgendwie alles wollten: sexuelle Freiheiten, Bruch mit dem Alten, den Autoritäten, mit Präsident Charlesde Gaulle, mit dem Kapitalismus, der Konsumgesellschaft, den Universitäten. Untermalt wurde das Ganze von utopischen bis witzigen Sprüchen wie: »Seid realistisch, verlangt nach dem Unmöglichen«. Auf einmal war es verboten, zu verbieten, und unter dem Pflasterstein verbarg sich angeblich der Strand.
    Die »neue Küche« passte zu einer Gesellschaft, die kurzfristig das Alte verachtete. Dabei sind sich die beteiligten Köche keinesfalls einig, ob die Nouvelle Cuisine sich wirklich auf dem Teller auswirkte: Michel Guérard, der wohl »nouvelleste« der Küchenchefs, sagte in La Libre Belgique , die Küche sei im System von Escoffier gefangen gewesen. »Da erklärte der Küchenchef morgens, wir machen heute Seezunge Joinville und alle hatten die Nase voll.« Sein Salat mit grünen Bohnen, Spargelspitzen, Trüffel und Foie gras sei damals wegen einiger Spritzer Essig auf der Gänseleber als Majestätsbeleidigung aufgefasst worden. Das »Neue« an der Nouvelle Cuisine, das war seine Küche, die das Bekenntnis zum leichteren Essen und leichteren Saucen ohne Verzicht auf Wohlgeschmack ernst nahm. Andererseits hatte schon Edouard Nignon den Berufsstand der Köche zur Kreativität aufgefordert, und Michel Guérard selbst servierte noch zu Beginn der Nouvelle Cuisine konservative, rustikale Kost wie gebratene Kuttelwurst.
    Sein Vater hätte zwar nicht an die Nouvelle Cuisine geglaubt, erinnert Marc Haeberlin, wohl aber an die »Verschlankung« der Rezepte. Bocuse hätte die Familie mit seiner Energie mitgerissen. Anne-Sophie Pic sagt, ihr Vater sei gegen die Nouvelle Cuisine gewesen. Er hätte sie, schon wegen der aufgeräumten Portionen, als »Verlust an Großzügigkeit« betrachtet. Louis Outhier schließlich war skeptisch: »Wir haben dieses Ding schief angesehen. Was sollte das heißen, die ›Nouvelle Cuisine‹? Henri Gault hat sie eines Tages urbi et orbi dekretiert.« Seiner Ansicht nach hättedie Bewegung immerhin die Hochstapler aus den Küchen vertrieben und die Denker unter den Köchen begünstigt. Pierre Troisgros scherzte, er hätte Gault und Millau für »nicht ganz dicht« gehalten, als er 1972 in ihrem Magazin las, er betreibe das beste Restaurant der Welt. Feinsinnig fügte er hinzu, die beiden hätten einen »neuen Journalismus, getrüffelt mit Metaphern«, geschaffen, der den alten Gastronomiejournalismus lächerlich machte. Etliche neue Wörter hätten sich so in die Gastronomie geschlichen, vom éclat (»Splitter«) zu den copeaux (»Spänen«). Auch die Brüder Troisgros spielten mit, nannten ihr Lachsfilet jetzt »Schnitzel« ( escalope ), obwohl bis dahin der Begriff eigentlich dem Fleisch vorbehalten war. Aus Hummer wurde ein navarin . Das Wort stand zuvor für »Lammragout«.
    Sogar Paul Bocuse widerspricht der Legende, die Nouvelle Cuisine sei eine Küchenrevolution gewesen: Er hielt sie für eine Farce, und selbst Henri Gault hätte ihm anvertraut, er und Millau seien Salauds (»Dreckskerle«), weil sie die französische Küche in einen Irrweg geführt hätten:
    »In der Nouvelle Cuisine ging es nie um Gerichte. Es ist eine Geschichte von jungen Leuten der Nachkriegszeit, die drei Sterne erkochten.« Auch die Tatsache, dass die Haute Cuisine plötzlich von Journalisten statt von Köchen geordnet wurde, behagte ihm damals wie heute nicht: »So wie die Dinge liefen, hätten wir nicht mehr lange in die Mikrophone gesprochen.« Bocuse reagierte, kreierte mit seinen Freunden Troisgros, Haeberlin, Outhier, Vergé, Laporte, Lasserre und Oliver einen exklusiven Club namens Grande Cuisine française. Zügig bekamen die Herdgrößen Verträge von Air France und dem Caterer Servair. Die Köche standen wieder im Vordergrund, der Einfluss der Branchenfremden war gehemmt. Darauf scheint er bis heute ein wenig stolz.
    André Guillot aus dem Vieux Marly vertrat sowohl in seinem Werk La Grande Cuisine Bourgeoise (1976) als auch in Schulungskursen, die er nach Schließung seines Lokals gab, eine andere Meinung, die sehr plausibel klingt, unter Küchenchefs jedoch nicht für spontane Begeisterung sorgte. Die Nouvelle Cuisine war für ihn eine Simplifizierung der großen Küche. Vereinfacht ausgedrückt: Zwei dünne Fischfilets sind schneller gebraten als ein ganzer Fisch. Für Guillot hatte diese

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