Die Erfinder des guten Geschmacks
VGE«, die Paul Bocuse bekannt machte, beruhte auf einer Idee von Paul Haeberlin, der sich wiederum von seinem Lehrmeister Edouard Weber inspirieren ließ. »Wenn ich die Notizen meines Vaters durchsehe«, erklärt Pauls Sohn Marc, »dann gibt es da viele Anmerkungen wie »Rezept von Louis Outhier, Biskuitteig Weber, Waffeln Bocuse […] Ein Rezept ist nur eine Partitur. Dann bleibt die Interpretation, das Holz der Instrumente.«
Ein großer Teil des gastronomischen Renommees des Elsass gründet sich auf Haeberlins tägliche Arbeit am Herd. Auch als der Parkplatz vor dem Haus schon einer Automobilausstellung glich und die Weinkarte in das Leder eines Pariser Modehauses gebunden wurde, blieb Paul Haeberlin im Grunde seines Herzens aubergiste : bescheiden, großzügig und mit beiden Beinen auf dem Elsässer Boden der Tatsachen.
Paul Haeberlin, der große Koch des Elsass.
Den Platz am Herd trat er schon lange vor seinem Ableben an seinen Sohn Marc ab, doch ganz verlassen hat er die Küche nie. Einige Kritiker haben ihn im Laufe der Jahrzehnte nach seinem Lebensmotto gefragt: » Bien faire et disparaître«, antwortete er stets. »Gut arbeiten und abtreten.« Gut gearbeitet hat er stets, und dem disparaître entgeht niemand.
Nun reichte es auch damals nicht, erstklassig zu kochen, um von dem Hype um die Nouvelle Cuisine zu profitieren. Anders als früher mussten sich die »neuen« Köche in einem veränderten Medienumfeld mit Radio und Fernsehen behaupten. Besonders in den frühen Jahren öffentlich-rechtlichen Fernsehens war ja eigentlich jeder ein Star, der seinen Kopf vor eine Kamera halten durfte – siehe den menjoubärtigen Clemens Wilmenrod, der deutsche Hausfrauen hordenweise zum Kauf von Puter und Kabeljau motivierte. Mit diesen neuen Medien mussten die Köche zu spielen lernen. Bocuse war diese Fähigkeit quasi angeboren, Vergé behauptete sich nicht schlecht, seinen »Look« (graues, sorgsam nach hinten gekämmtes Haar, buschiger, doch wohl gestutzter Schnauzbart) hatte er ja – bewusst oder unbewusst –, soweit im Rahmen der Physis möglich, an Escoffier angelehnt. Pierre Troisgros und Paul Haeberlin wirkten wie joviale Bonvivants, die jeder Franzose gern zu seinen Freunden zählen würde.
Gruppenbild mit Zutaten. Zu Nouvelle Cuisine-Zeiten zeigten die Köche gern, was sie zu bieten hatten.
Andererseits: Man sollte im richtigen Alter sein, um Innovationen am Herd für die breite Masse glaubhaft preisen zu können. Und wenn man halbwegs gut aussieht, dann ist das auch kein Nachteil.
Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben
In seiner kleinen Auberge du Vieux Marly zählte André Guillot (1908-1993) zu den eher bescheidenen Erneuerern. Berühmtwar der schmale Mann mit der zu groß geratenen Brille für sein besonders luftiges Blätterteigrezept mit nicht weniger als 4000 Blättern. Der Legende nach erfand er auch die Sauce ohne Mehlschwitze, damals 1934, als er in der Küche des Herzogs von Auerstaedt arbeitete. Irgendetwas hatte ihn beim Kochen unterbrochen, die Mehlschwitze war vergessen, doch die Sauce mit ein wenig Crème fraîche dickte perfekt ein.
Guillots Karriere begann in der Küche der Italienischen Botschaft in Paris, bevor er 1926 in den Dienst des Schriftstellers Raymond Roussel eintrat. Als Autor war Letzterer nur mäßig erfolgreich, doch das Vermögen seiner Eltern befreite Roussel von allen materiellen Sorgen und Zwängen. Der Exzentriker schickte täglich einen Rolls-Royce an die Côte d’Azur, um frisches Obst und Gemüse zu holen. Roussel speiste einmal am Tag und ließ sich stets ganz allein 16 bis 22 Gänge servieren. Noch Jahre später schwärmte Guillot von der Lehrzeit in dem »außergewöhnlichen Haus«, lobte die vielfältigen Zubereitungen, die außergewöhnliche Qualität und den Sinn für Details. Getroffen hat er seinen Arbeitgeber nie. Köche gehörten zum Hauspersonal.
»Genau garen und nur so viel wie nötig würzen« – das war für ihn das ganze Geheimnis seiner Küche. Einer Küche, die Frankreichs Klassik respektierte, doch hier und da neu interpretierte. Natürlich servierte er seinen berühmten Blätterteig, oft als salzige Variante mit Austern, Spargel, Trüffeln, danach Hechtklöße in Hummersauce, Ente mit Kirschen, Rehnüsschen mit Trauben und vieles mehr.
Restaurant, Küche und Speisekarte des Vieux Marly waren klein, was Guillot zwang, seine Arbeit anders zu organisieren. Deshalb erlegte der Koch den Gästen die Pflicht zur Pünktlichkeit auf.
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