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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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erklärten sich Gloria und Sarah bereit, an der zweifelhaften Operation mitzuwirken, und verpflichteten sich, alle den Glauben betreffenden Fragen mit der Führung der Kirche zu klären.
    Die Kirchenleitung der Chicagoer Methodisten begrüßte die Absicht der Schwestern, die methodistischen Ideen unter dem Industrieproletariat des Donbass und den deutschen Siedlern im Süden Russlands zu verbreiten. Nachdem sie sich dieser notwendigen Unterstützung versichert hatten, machten sich die Schwestern auf den Weg.
     
    – Und außerdem, – unterbrach mich Olga plötzlich, die bisher aufmerksam zugehört hatte, – weißt du, was ich vergessen habe? Was mich immer an ihnen gewundert hat, den Älteren? Sie haben immer zusammengehalten. Komisch. Ich erinnere mich an die Achtziger, wir waren jünger, und diese ganze Bande – Schura, Ernst, sie wollten mit uns nichts zu tun haben, wollten sich durch uns keine Probleme einhandeln. Einmal, erinnere ich mich, wurde Ernst wegen Schwarzhandels mit Jeans geschnappt.
    – Mit Jeans?
    – Mhm. Er nahm Markenjeans, schnitt sie in der Mitte durch und verkaufte jedes Teil einzeln. Gute Idee übrigens, – fügte Olga hinzu, – aus buchhalterischer Sicht.
    – Und dann?
    – Sie haben ihn freigekauft. Haben ihn nicht hängenlassen. Ich glaube, sie haben deswegen dauernd Probleme, weil sie sich gegenseitig nicht hängen lassen. Sie halten zusammen, hauen sich raus. Wie viele sind schon gar nicht mehr am Leben, die meisten sind nicht mal vierzig geworden. Weißt du, ich denke, wenn jeder für sich allein gewesen wäre, hätten sie es leichter gehabt.
    – Nicht nur sie.
    – Stimmt, sagte Olga. – Aber lies weiter.
     
    Im März 1914 verließen die Schwestern mit dem Ozeandampfer »Mesopotamia« der russisch-kleinasiatischen Dampfschifffahrtsgesellschaft die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Begleitet wurden sie bei ihrer geistlichen Mission von ihrer langjährigen Freundin, der gebürtigen Irin Barbara Carrol, und von der mexikanischen Sängerin und Methodisten-Aktivistin Maria de los Mercedes, deren Bereitschaft, mit den Schwestern zu fahren, daher rührte, dass sie vor der kirchlichen Administration fliehen musste, die Maria der Unterschlagung von Spendengeldern beschuldigte. Der Dampfer, auf dem das Quartett über den Atlantik reiste, wurde von der Firma vor allem für den Transport russischer Emigranten genutzt, die monatelang in den Häfen der Krim und am Asowschen Meer ausharrten und auf eine Schiffspassage warteten. Auf dem Rückweg nach Eurasien waren die Dampfer immer halb leer, was den Schmuggel und überhaupt die engen Bindungen der Mannschaften der meisten Schiffe zur kriminellen Welt beförderte. Die »Mesopotamia«, deren Mannschaft vor allem aus Griechen und Zigeunern bestand, war schon in New York mit Fleischkonserven, Stoffen und Briefsäcken beladen worden. Mit gesonderter Fracht transportierte sie eine Partie Phonographen, die sich damals in Osteuropa großer Nachfrage erfreuten.
    Der Dampfer gehörte zu den ältesten Schiffen der Gesellschaft und hätte schon lange einer Generalüberholung bedurft. Er war für den Transport von ungefähr 100 Passagieren der ersten Klasse und etwa 500 Emigranten ausgelegt. Die Schwestern richteten sich in den leeren Frachträumen ein, die sie selten verließen, und hatten fast keinen Kontakt zur Mannschaft. Es muss gesagt werden, dass die Matrosen, die für den Transport der vier Frauen eine nicht unerhebliche Summe erhalten hatten, sich ihnen gegenüber trotzdem abweisend, wenn nicht sogar feindselig verhielten.
    Die jüngere der Abrahams-Sisters, Sarah, hat die Reise als schwierig und endlos beschrieben. Der Dampfer rollte schwer und mit dumpf tönendem Leib über den grünen Märzatlantik. Seit New York wurden sie von Möwen verfolgt, als witterten sie leichte Beute. Die Griechen schossen die Vögel mit Revolvern ab, so dass sie ins kalte Wasser fielen und von den Wellen verschluckt wurden wie weiße Rosen. Entsetzt schlossen sich die Schwestern in den Frachträumen ein, die groß wie Turnhallen waren, lauschten den Schüssen und summten ihre Spirituals.
    Den ersten Halt machte der Dampfer an den Ufern Neufundlands. Wie immer lag die Insel im Nebel verborgen, und sobald sie in diese frische Dickmilch eingetaucht waren, stoppte die Mannschaft die Maschinen und traute sich nicht weiterzufahren, in die aufgewühlte Nebelfeuchte voller Wale und Eisberge. Am Morgen traten die Schwestern auf Deck, und als sie die Eisschollen sahen,

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